Sechs Tanzstunden in sechs Wochen - kultur 30 - Oktober 2006

Ball der einsamen Herzen - Sechs Tanzstunden in sechs Wochen im Euro Theater

Das Duo Lily und Michael tanzt seit der deutschsprachigen Erstaufführung 2003 am Renaissancetheater in Berlin über etliche Bühnen. Die bezaubernde kleine Komödie Sechs Tanzstunden in sechs Wochen des Amerikaners Richard Alfieri taugt sowohl für den großen Boulevard als auch für kleinere intimere Orte. Und sie ist ganz einfach perfekt angerichtetes Schauspielerfutter. Peter Tömöry hat den Text für seine Inszenierung im Euro Theater Central verschlankt und setzt auf die leisen, psychologisch differenzierten Töne in der Begegnung des ungleichen Paares. In der subtil sparsamen Ausstattung von Melinda Lörincz (es ist ihre 10. Arbeit in Bonn; reizvolle Zeichnungen und Figurinen der begabten Künstlerin sind im Theaterfoyer zu bewundern) mit ein paar Traumgebilden von Hüten als wichtigstem szenischen Requisit funktioniert das prächtig. Zumal jede Szene auch eine kleine Lektion über die sozialen Hintergründe bestimmter Tanzmoden ist und das dramatische Potenzial der Tänze in den jeweiligen Emotionen der Akteure spiegelt. Gesellschaftstanz war schließlich immer schon die öffentliche Konventionalisierung der unterschwelligen Erotik.
Helga Bakowski, der die Rolle geradezu auf den Leib geschrieben zu sein scheint, spielt die alte Lady Lily, die für die komfortable Seniorenresidenz in Kalifornien eigentlich zu jung ist und vom Leben noch etwas mehr erwartet als die verdrängten Lebenslügen. Sie ist die selbstbewusste Grande Dame, das kokette Weibchen und die zerbrechliche Schönheit, die in der lieblosen Ehe mit einem frommen Prediger (in den USA kann man mit sowas zu Wohlstand kommen) sinnlos verblühte. Für einen neuen Frühling engagiert sie den Tanzlehrer Michael. Der ist ein Broadway-erprobter Revueprofi, ziemlich jung und taktlos - mit italienischem Blut in den Adern, vielen Flausen im Kopf und wenig Geld in der Tasche. Andreas Strigl (zum ersten Mal im Ensemble des Euro Theaters) spielt ihn glänzend zwischen herzlosem Latin Lover, Gay Boy, Muttersöhnchen und vom Show-Geschäft bitter aus dem Takt Geworfenen und vermeidet dabei höchst sympathisch die üblichen Schwulen-Klischees.
Beim hüftbetonten Swing treten sich die beiden nicht nur auf die tanzwütigen Füße und schrammen knapp an einer Vertragskündigung vorbei. Beim heißen Tango entlädt sich die leidenschaftliche Wut über den gegenseitigen Betrug. Beim flotten Foxtrott kühlen die aufgeheizten Gemüter ab. Beim Walzer knallt Michael Lily seine amerikanischen Nazi-Parademarsch-Phantasien um die Ohren, was jedoch im Wiener Dreiviertel-Takt-Taumel sanft aufgehoben wird. Beim Cha-Cha-Cha-Tuntenball sind alle Unterschiede zwischen Alter und Geschlecht längst so außer Kraft gesetzt, wie Idas unsichtbarer, aber umso penetranterer Telefonterror aus der Alzheimer-Zone. Lily ist nämlich eine „Dancing Queen“ und verdammt hip. Leider waren die sechs aufregenden Tanzstundenwochen ihre letzten. Aber ein wunderbar sensibler Tanz der verletzten, einsamen Seelen. „Rhythm is it“ für silbergraue Panther und rosarote Tiger. Darstellerisch mit lustigen kleinen Pantomimeneinlagen ein Hit und ein exzellenter Saisonstart beim Euro Theater. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std. mit Pause

Dienstag, 23.01.2007

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