Tintentod - kultur 57 - Mai 2009

Mutige Bücherhelden - Tintentod Uraufführung als Musical nach dem Roman von Cornelia Funke im Jungen Theater

Mo wird dringend gebraucht im vom Dichter Fenoglio erfundenen Reich Ombra, dessen Einwohner unter der Tyrannei des bösen Herrschers Natternkopf leiden. Der ist zwar durch ein von Mo listig präpariertes Buch auf eine Zombie-Existenz im Rollstuhl (schön fies: Rolf Bidinger) geschrumpft, hat sich jedoch mit Hilfe von Alchimisten eine vorläufige Unsterblichkeit gesichert. Zum Leidwesen seiner schwangeren Frau Resa (Anja von der Lieth) und seiner zum flotten Teenager gereiften Tochter Meggie (Anina Schichterich / Hannah Winter) gefällt sich Mo (hervorragend: der erfahrene Musicaldarsteller Mariano Skroce) in der Rolle des edlen Räubers Eichelhäher deutlich besser als in der des Buchbinders oder Familienvaters. Das Dumme daran ist, wie Resa unmissverständlich klar macht: Helden haben meis­tens weder Frau noch Kinder und sterben früh, sind also eher für die Literatur geschaffen als für die Wirklichkeit. Wobei die Grenze zwischen den verschiedenen Realitäten ja genau das Thema ist in Cornelia Funkes erfolgreicher Tin­tentrilogie.
Frieden und Freiheit verlangen jedenfalls die Spielleute, die zu Beginn von Andreas Lachnits Tintentod-Inszenierung auf ihrer flott aufgebauten mittelalterlichen Vagantenbühne kurz den Stand der Dinge als Theater auf dem Theater präsentieren. Ein pfiffiger Kunstgriff, der einen unmittelbaren Einstieg in die fantastische Geschichte erlaubt, die mit Tintenherz und Tintenblut begann. Mit der Uraufführung der Musical-Fassungen der beiden Romanbestseller von Cornelia Funke startete das Junge Theater Bonn im Herbst 2006 eine Erfolgsstory, die es quasi unvermeidlich machte, auch den 2007 erschienenen Tintentod noch auf die Bühne zu bringen. Intendant Moritz Seibert und Timo Rüggeberg haben das komplizierte narrative Geflecht geschickt auf einen theatertauglichen Text und eine klare Konfliktstruktur reduziert. Die Bühnenmusik und die Songs von Stephan Witt haben Ohrwurm-Qualitäten, die schwungvolle Choreographie von Valery Joy Simmonds bringt das ganze Ensemble (insgesamt 33 Schauspieler) zum Tanzen, die weit über 60 Kostüme von Ausstattungsleiterin Brigitte Winter sind eine Augenweide. Natürlich fiel vieles von dem Roman dem dramaturgischen Rotstift zum Opfer, der konzentrierte Rest ist jedoch Bühnenvolldampf auf höchstem Niveau. Zumal die jungen Darsteller ihren handwerklich selbstverständlich überlegenen erwachsenen Profikollegen in ihrer psychologischen Rollengestaltung und Bühnenpräsenz durchaus gleichwertig sind.
Mo muss sich also entscheiden zwischen seinen privaten und politischen Pflichten, was moralisch relativ einfach ist, wenn die Bösewichter eine deutliche Mehrheit haben und ein brutaler silbernasiger Pfeifer (Jan Herrmann) mit Martern aller Arten droht. Oder Natternkopfs zwielichtige Tochter Violante (Nathalie Rénaud-Claus) mit ihrem altklugen Kronprinzen Jacopo (Jannik Bechonert / Julius Nebling) auf die Weltherrschaft spekuliert. Meggies angeknackstes Herz muss sich entscheiden zwischen dem bezaubernden Fremdling Farid (Adrian Linz / Nassirou Holik) und dem tapferen Kindersoldaten Doria (Merlin Fangel / Carlo Hoffmann).
Im variablen Bühnenbild von Laurentiu Tuturuga mit gotischen Spitzbögen und ritterlichen Zugbrücken, kettenrasselnden Folterkellern, verdrehten Bücherregalen und dem Schreibpult für die erlösenden Wörter ist Platz für Alb- und Wunschträume und ein „Prosit auf die Prosa“. Was der Schriftsteller Fenoglio (Peter Devo Neumann) leider etwas zu wörtlich genommen hat. „Die Flasche bleibt hier!“ bestimmt unter Genehmigung eines kräftigen Schlucks die grundsympathische Tante Elinor (als energische Rambo-Dame für alle Fälle: Giselheid Hoensch), bevor sie dem ständig bei Mozart klauenden Genie die Leviten liest und für Ordnung sorgt in Ombra.
Wie Staubfinger (René Wedeward) mit Farids Feuerzauber und Maggies Zauberzunge aus dem Totenreich der weißen Frauen ins Leben zurückgelesen wird und der Schwarze Prinz (brillant auch in anderen Rollen: Sören Ergang) die Kohlen für alle aus dem Feuer holt, muss man schon selbst sehen, bevor man einstimmt in die unverwüstliche JTB-Dauerbotschaft: „Kopf hoch, blick nach vorne, nur Mut, du bist nicht allein. Steh auf, halt dich gerade …“. Das begeisterte Premierenpublikum folgte dieser Aufforderung mit Standing Ovations sofort. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.2 ½ Std., eine Pause
Im Programm bis: ???
Nächste Vorstellung: 30.04.09

Donnerstag, 07.01.2010

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