Sonny Boys - kultur 29 - September 2006 (Theater Bonn: Kammerspiele)

Szenen einer wunderbaren Feindschaft - Sonny Boys von Neil Simon in den Kammerspielen

Die Geschichte ist längst ein Theaterklassiker und mehrfach prominent verfilmt worden. Eigentlich ist die Geschichte sowieso längst vorbei, denn Willie Clark und Al Lewis haben sich seit elf Jahren nicht mehr gesehen und seit zwölf Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt. Aber das 1972 in New York uraufgeführte Stück Sonny Boys von Neil Simon, dem erfolgreichsten amerikanischen Komödienautor des 20. Jahrhunderts, lässt die Lichter des Broadway einfach nicht ausgehen über dem alten Komikerpaar, das Jahrzehnte lang zu den Stars der Varietés auf dem ganzen Kontinent gehörte.
In den Kammerspielen lässt Regisseur Kalle Kubik, der bereits mit Kästners hinreißendem Doppelten Lottchen für glänzende Auslastungsquoten sorgte, die Lichter nicht ausgehen, zumal in der Ausstattung von Claudia Wachendorff die ganze New Yorker Skyline hereinschimmert in das schäbige Hotelapartment dicht am Times Square, in dem Willie von besseren Zeiten und neuen Engagements träumt. Wie Rolf Mautz im gestreiften Pyjama raunzend und grantelnd durch diese Matratzengruft schlurft, mit dem Fernsehstecker und dem Türschloss kämpft, die Teebeutel statt durchs Fenster an die Wand knallt und jeden vorhersehbaren Gag listig auskostet, ist schön eklig und schlicht kostbar. Ein entthronter König des Boulevards, dem das ganze Leben zum billigen Sketch geronnen ist. Seinen braven Neffen Ben Silverman, im wirklichen Leben ein mehr oder minder erfolgreicher Theateragent, tyrannisiert er mit der unüberwindlichen Macht seiner perfekt zelebrierten Lebensuntüchtigkeit. Hendrik Richter im herrlich geschmacklosen rosa Anzug behauptet sich mit Engelsgeduld gegen dieses selbstverliebte Monster, das jeden Dialogversuch in eitlen Pointenpirouetten erstickt. Aber hellhörig wird, wenn Bennyboy den ganz großen Coup aus der Tasche zieht: Ein Fernsehsender will die großen alten Zeiten des Varietés für eine Riesenshow aus der Versenkung holen, und dabei darf der legendäre "Doktor-Sketch" des Komikerduos "The Sunshine Boys" nicht fehlen.
Al Lewis schneit also herein in Willies verlotterte Wohnküchenwelt, was die Altersbosheiten dieses in treuer Hassliebe verbundenen seltsamen Paars zum Überkochen bringt. Wolfgang Jaroschka als soignierter älterer Herr ist ein in den bürgerlichen Mittelstand verirrter Künstler, auf dessen steifer Oberlippe ein gepflegtes Menjoubärtchen zittert und unter dessen schwarzem Hut eine schlecht sitzende dunkle Perücke die Jahre verleugnet. Willies nie gespülte Teetassen fasst Al nur mit behandschuhten spitzen Fingern an, Willie lässt sich mit abgrundtiefer Verachtung das provinzielle "New Jersey" seines ehemaligen Bühnenpartners mit Familie und Häuschen im Grünen zwischen den schmollenden Lippen der verschmähten Diva zergehen. Die feuchte Aussprache und der spitze Zeigefinger von Al waren zwar ein Scheidungsgrund, aber wegen eines als triumphale Rache hingeschmetterten „Hereinspaziert!” schmeißt man doch nicht gleich eine ganze Theater-Ehe! Warum auch immer Al Lewis in einem Anfall von Vernunft seinen Partner Willie Clark sitzengelassen hat - man einigt sich nach einer in zahllosen Nickeligkeiten verpatzten Probe: „Ich bin dagegen, aber ich mache mit“.
Natürlich geht der Ernstfall im Studio mit in allen Farben schillerndem Show-Vorhang schief, ist aber in den Kammerspielen ein schrill komisches Theater auf dem Theater.
Hans-Jürgen Moll ist der Kassenpatient von Dr. Willies eigenwilliger Gesundheitsreform, Tanja Baumgart die pralle Verkörperung fast schon in Vergessenheit geratener Krankenschwesternreports und der Finanzbeamte Al im karierten Anzug die Korruptionssumpfblüte vom Dienst. Leider ist Willies Herzinfarkt diesmal so echt, dass der Sketch im Orkus landet, er selbst auf der Intensivstation und kurz danach als Pflegefall im heimischen Chaos, wo ihm eine robuste schwarze Krankenschwester die Pralinen wegfrisst und die Möbel zurechtrückt. Anke Zillich - bis zur Unkenntlichkeit schokoladenschwarz geschminkt - klaut ihm mit stoischem Sarkasmus auch noch ein paar sprachliche Pointen, bevor Neffe Ben vor der Pflegekostenexplosion die Segel streicht und der immer gebrechlicher werdende Al gesteht, dass er alle prominenten Genesungswünsche eigenhändig getürkt hat. Irgendwie ist nämlich in dieser ganzen verflossenen künstlerischen Lebensabschnitts-Partnerschaft eine neue Liebe aufgeflammt, die auf eine wunderbare Feindschaft hoffen lässt.
An dieser auf dem Boulevard fremdgegangenen Beziehungskiste hing bei der Premiere noch etwas zu viel Stadttheaterblei, was den tragischen Witz zu Lasten der Bissigkeit ausbremste. Als Charakterkomiker haben Rolf Mautz und Wolfgang Jaroschka dennoch so viele wunderhübsch herzlose kleine Gemeinheiten auf der Pfanne, dass alle Publikumsherzen schmelzen. Für die Köpfe (nicht nur die qualifizierte Mehrheit der Grauköpfe der Generation 60+) bleibt immer noch was übrig, denn diese Sonny Boys machen ganz einfach - und hoffentlich noch lange - höchst intelligentes Theater fürs Theater. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 ¾ Std. mit Pause

Dienstag, 12.11.2013

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