Jahrmarkt von Sorotschinzy kultur Nr. 38 - Juni 2007

Liebe, Suff und Teufel - Jahrmarkt von Sorotschinzy von Modest Mussorgsky in der Oper

Das ukrainische Dorf Sorotschinzy, in dem der russische Dichter Nikolaj Gogol eine seiner Novellen angesiedelt hat, gibt es wirklich. Der britische Regisseur Tony Palmer, bekannt durch mehr als 100 Filme über Komponisten und Musikinterpreten verschiedenster Genres, hat dort Szenen über Schostakowitsch gedreht und viele im Kopf und mit der Kamera gesammelte Eindrücke vom „Jahrmarkt in Sorotschinzy“ nach Bonn mitgebracht. Ausstatter Michael Scott, der unter der Intendanz von Giancarlo del Monaco mehrfach an der Bonner Oper zu Gast war, hat sie mit großer Liebe zum Detail zu einem bunten Bilderreigen zusammengefügt. Solche historisch authentische Kostümopulenz mit dem ganz naiven Mut zur Heimatmuseums-Ästhetik kann man heutzutage lange suchen. Chor, Extrachor und Kinderchor - wie immer musikalisch blendend gut einstudiert von Sibylle Wagner - haben sich richtig fein gemacht für den kleinrussischen Jahrmarkt. Die adretten Zöpfe, die Blumenkränzchen, die farbigen Bänder, die weiten Röcke und bauschigen Blusen - alles ist ein Fest für die Augen. Sogar ein lebendiges Pferdchen ist vor Tscherewiks Bauernwagen gespannt und hält beim Trab perfekt den Takt. Das Tier ist (nach ein paar Zuckerwürfeln) offenbar musikalisch, und Palmer ist mit dem Zucker für die Zuschauer sehr freigiebig.
Dass der Bonner Oper für Modest Mussorgkijs selten gespielte Oper Der Jahrmarkt von Sorotschinzy ein Ensemble zur Verfügung steht, das nicht nur Russisch als Muttersprache spricht, sondern auch noch die ukrainischen Dialektfarben ins Spiel bringen kann, gehört zweifellos auf die Habenseite der wunderbar verspielten Inszenierung. Für den musikalischen Farbenreichtum, die folkloristische Schwelgerei, die pralle Komik, die irrwitzigen emotionalen Brüche und die grotesken Verzerrungen in der scheinbar harmlosen Partitur sorgt Generalmusikdirektor Roman Kofman am Pult des bestens präparierten Beethoven Orchesters Bonn. Ein Sonderlob verdienen die Orchestersolisten, die sich auch auf der Bühne hervorragend behaupten. Kofman stammt aus der Ukraine, hat den rasanten Rhythmus des „Gopak“-Tanzes quasi im Blut und ist nicht ganz unschuldig daran, dass in Bonn Mussorgskijs letztes unvollendetes Werk fürs Musiktheater auf den Spielplan kam und das Premierenpublikum im Sturm eroberte.
Der Komponist (beim „Jahrmarkt“ auch Librettist) Mussorgskij (1839 - 1881) brachte außer Boris Godunow keine seiner Opern zu Ende. Viele Geschichten fing er im Leben und auf der Bühne an, bevor er sie in Selbstzweifeln aus dem Sinn verlor und im Wodkarausch versenkte. Bruchstücke seines „Jahrmarkts“ wurden 1911 in St. Petersburg in einer privaten Aufführung zu seinem 30.Todestag präsentiert. Gut 20 Jahre später schufen der Musikwissenschaftler Pavel Lamm und der Komponist Wissarion Schebalin die Fassung, die bis heute als die bes­te gilt und auch in Bonn gespielt wird.
Der rechtschaffene Bauer Tscherewik (mit tiefem, sattem Bariton glänzend: Vladimir Baykow) parkt sein Pferdefuhrwerk am Rand der Kirmes, auf der er neben seinen Feldfrüchten ganz gern auch sein süßes Früchtchen Parassja (Anna Virovlansky als brave Schönheit vom Lande mit betörend klarem Sopran und hinreißender emotionaler Energie) an einen finanziell potenten Gatten verhökern möchte. Ein Heiratskandidat ist bald zur Stelle. Der junge Bauer Gritzko (mit tenoralem Schmelz: Valeriy Serkin) gewinnt Parassjas liebes- und freiheitshungriges Herz mühelos. Papa Tscherewik hat ein großes Herz für das junge Paar und ziemlich bald auch so viel Promille im Blut, dass seine russische Seele butterweich wird und sein Verstand dahinschmilzt. Zumal der gutherzige Gevatter (herrlich skurril: Martin Tzonev) beim Wein tüchtig mithält und der Familie in seinem putzig aus dem Bühnenboden hochgefahrenen Häuschen Quartier gewährt. Für die Ernüchterung der alkoholvernebelten Idylle sorgt Tscherewiks tüchtige Gattin Chiwrja, Parassjas strenge Stiefmutter. Svetlana Shilova als Gast aus Moskau ist der heimliche Star der Aufführung. Für einen herzlosen Hausdrachen singt sie mit ihrem warmen, emotional differenzierten Mezzo-Sopran eigentlich viel zu schön. Als Königin der Bratpfannen und Kochtöpfe brennt sie vor Zorn und unbefriedigter Sehnsucht. Dieses Weib hat den Teufel im Leib, eine Menge Grips im Kopf und eine Belcanto-Wut in der Kehle, dass es den Männern glatt die alkoholgeschmierte Gurgel zudrückt. Sie werkelt in der Küche ja auch nicht für ihren dauernd berauschten Angetrauten, sondern für den gefräßigen Popensohn Afanassij Iwanowitsch. Der Tenor Mark Rosenthal kostet seinen großen Auftritt als kleiner Galan unverschämt komisch aus, bevor er über Chiwrjas Köstlichkeiten herfällt und - wie es sich für eine anständige Komödie gehört - schon nach der Vorspeise unter dem Tischtuch abtauchen muss.
Denn beim Jahrmarkt von Sorotschinzy macht nicht nur allerhand dunk­les Gelichter gute Geschäfte. Dort ist nach etlichen tiefen Blicken ins Glas auch der Teufel persönlich los. Andrej Telegin verzaubert mit seinem Bass als zwielichtiger Zigeuner das ganze abergläubische Volk, bis hinter jedem Busch der „rote Kittel“ mit seinem Schweinskopf zu lauern scheint. Vom Himmel schweben schaurige Bilder wie Goyas „Saturn, der eins seiner Kinder verschlingt“. Kronos' blutige Schlachtfeste bleiben jedoch schlichtes Zitat ohne Schmerzfaktor. Die dörfliche Gemütlichkeit wird sowieso unheimlich, wenn die dunklen Triebe frei gelassen sind und Eros das zähneklappernde Fürchten lehrt. Der Hexensabbat, für den Mussorgskij seine wilde Nacht auf dem Kahlen Berge recycelte, ist glücklicherweise nur ein Albtraum des braven Gritzko. Ein bisschen Polterabend kann vor der Hochzeit nicht schaden. Zumal Kamen Todorov als Oberteufel Tschernobog echt der Superstar der Hölle sein dürfte. Zum giftgrün flackernden Laserlicht macht er mit den Tänzerinnen und Tänzern des Choreographischen Theaters (Choreographie: Przemyslaw Kubicki) aus dem schwülen Mittsommernachts­traum eine große Gespenstershow. Der Schlaf der Vernunft gebiert hier höchstens Ungeheuerchen. Dass nach dem ganzen Spuk die Hochzeitsglocken läuten dürfen, ist klar. Die protestierende Chiwrja wird von den Dorfburschen kurzerhand entsorgt. Der Zigeuner hat sich Gritzkos Ochsen redlich verdient. Über die Hörner kann man später verhandeln. Beim pompösen Finale triumphiert die junge Liebe. Und das ganze Publikum darf unbeschwert mitfeiern. Der Satansbraten schlummert sanft in der Mikrowelle, die kulinarischen Sterne leuchten jedoch am Opernhimmel zwischen Bonn und Kiew.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 1/2 Std. inkl. Pause
Im Programm bis: 14.06.07
Nächste Vorstellung: 3.06.07 - 18.00 Uhr
7 weitere Aufführungen im Herbst!

Donnerstag, 06.12.2007

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