Helter Skelter - kultur 35 - März 2007

Trilogie des Betrugs - Helter Skelter von Neil LaBute in der Werkstatt

Es ist ein Abend der seltsamen Verwirrungen, die aus scheinbar alltäglichen Situationen entstehen und ganz normale Menschen mit unheimlicher Konsequenz in eine ausweglose Enge treiben. Von den Monstern hinter den Masken der bürgerlichen Mittelschicht handeln alle Stücke (und auch die Filme) von Neil LaBute, dem derzeit erfolgreichsten zeitgenössischen amerikanischen Dramatiker. Was einfach daran liegt, dass er unglaublich gute Texte schreibt.
Es ist auch ein Abend der hochschwangeren großartigen Schauspielerin Birte Schrein, der die neue Werkstatt-Produktion überhaupt zu verdanken ist (s. kultur 34). Und es ist der Abend der drei jungen Bonner Regisseure, die jeweils einen Teil der durch einen raffinierten Spannungsbogen (Dramaturgie: Stephanie Gräve und Lothar Kittstein) zusammengehaltenen Trilogie inszeniert haben. Die Wände und den Boden des schlichten Einheitsraums für die drei Stücke hat Bühnenbildnerin Gesine Kuhn komplett mit weichem Filz überzogen, schön irritierend zwischen Lebendigkeit und schalldämpfender Hermetik.
Erstarrt ist das Land der Toten in der Regie von Jens Kerbel. Zwei helle Lichtfenster zeigen die Gesichter der beiden weit voneinander getrennten Figuren, deren einsame Stimmen sich in einem geradezu musikalischen tiefschwarzen Duett treffen. Sie versuchen, in allen Einzelheiten festzuhalten, was an jenem Abend und Morgen im September 2001 in New York geschah, als die Frau das gemeinsame Kind abtreiben ließ. Der Mann hatte einen erfolgreichen Geschäftsabschluss gefeiert, dachte ans Frühstück mit dem Chef und wenig an die Nöte der Frau, die das aufkeimende Leben in sich abrupt beendete. Die Entscheidung war schließlich längst gefallen. Kurz und schmerzlos auf Kreditkarte hat sie's hinter sich gebracht, wenn sie ihre Mailbox abhört, auf der er ihr aus seinem Büro im World-Trade-Center noch signalisiert hat: „Wenn du willst, können wir's auch durchziehen und das Ding behalten. Liegt ganz bei dir.“ Dann die bekannten Flugzeuggeräusche … Das Licht auf dem Gesicht des Mannes erlischt. Sie behält seine Stimme aus dem Land der Toten auf ihrem Handy. Andreas Maier und Birte Schrein erzählen diese kurze Geschichte von der Unumkehrbarkeit der Zeit und dem Betrug ums Leben distanziert mit verhaltener Emotionalität. Aber mit einer konzentrierten Intensität, die direkt unter die Haut geht.
Das Scherzo in der eigens für Bonn komponierten Stückfolge liefert die deutschsprachige Erstaufführung von Ich mag dich wirklich in der Regie von Stefan Heiseke. Roland Riebeling im sportlichen weißen Outfit (Kostüme für alle drei Stücke: Uta Heiseke) macht aus dem Theater eine kabarettistische Denksportaufgabe: Ist das, was hier und jetzt passiert, die Aufhebung des Zweifels oder des Glaubens? Bin ich mit meiner Wasserflasche der nette Schauspieler oder der Typ, der auf ein Mädchen wartet, mit dem er sich übers Internet verabredet hat? Und das er möglicherweise ermorden wird? Vielleicht können die Zuschauer sie ja retten? Die junge Frau bringt zum Date einen dicken Babybauch mit, was der junge Mann eigentlich ebenso ‚normal' findet wie das gemeinsame Kaffeetrinken. Sie verrät ihm ihren ‚wirklichen' Namen, bevor die beiden zur Besichtigung eines ‚romantischen' Sonnenuntergangs fahren. Roland Riebeling und Birte Schrein machen aus dieser kleinen Theater-Etüde einen brillant bösen Witz überdie Illusion der Bühne.
Mit der Uraufführung von Helter Skelter, das LaBute Birte Schrein auf den Leib geschrieben hat, gibt die junge Jennifer Whigham ihren glänzenden Regie-Einstand. Yorck Dippe ist der Ehemann, der in einem schicken kleinen Restaurant an einer Shopping-Mall leicht nervös auf die Festtagseinkäufe seiner Gattin wartet. Sie kommt leicht atemlos, aber mit einer eigentümlich lauernden Selbstsicherheit, die nichts Gutes erwarten lässt. Ihr bräutlich weißes Kleid schimmert über dem runden Babybauch. Der scheinbar harmlose Dialog mutiert langsam und unerbittlich zur ehelichen Kampfzone. Dass ihr Mann sie mit ihrer Schwester betrügt, weiß sie. Dass das schon sechs Jahre so läuft, ist ein überraschender Schmerz. Wie sie mit ihren aufgestauten Gefühlen seine ganze lächerliche bürgerliche Fassade aufbricht, wie er in diesem leisen Sprachspiel jede Fassung verliert und ihr seine hilflosen Sätze mit maßlos naiver Brutalität um die Ohren knallt, ist darstellerisch umwerfend gut. Ihre Rache ist sehr blutig und führt zur Kindstötung am Anfang zurück: Medea im banalen Supermarkt.
Insgesamt eine ästhetisch faszinierende Inszenierung zwischen brennender Kälte und heißem Betrug, die in ihren besten Momenten richtig weh tut. Unbedingt sehenswert, aber aus nahe liegenden Gründen vorläufig nur bis kurz vor Birte Schreins Wehen auf dem Spielplan. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.100 Min., keine Pause
Im Programm bis: 18.03.07

Samstag, 02.01.2010

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