Brennende Geduld (kultur 35 - März 2007)

Poetische Komödie um einen Dichter - Brennende Geduld im Euro Theater

Der ernste politische Hintergrund scheint immer wieder auf in der wunderbaren (unter dem Titel Il Postino erfolgreich verfilmten) Erzählung Mit brennender Geduld des chilenischen Dichters Antonio Skármeta, der damit seinem großen Landsmann und Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda ein poetisches Denkmal setzte. Die Regisseurin Marianne de Pury hat daraus einen schlicht hinreißenden Abend voller Spannung und sensiblem Humor über die Liebe und die Macht der Poesie gestaltet. In der Ausstattung von Thomas Ziegler mit lichtem Himmels- und Meeresblau, drei weißen Hockern und einem Gartentischchen öffnet sich der Horizont und lässt in der Phantasie die kleine Welt der Isla Negra entstehen, wo Neruda lebte. Er ist der einzige Kunde des jungen Postboten Mario Jiménez, der endlich seinen Traumjob gefunden hat. Und bis über beide Ohren verknallt ist in die schöne Beatriz González.
Wie der junge Choere Fischer (zum ersten Mal am Euro Theater) als Briefträger Mario mit seinem Fahrrad über die Insel saust, sich mit einer Mischung aus Naivität und List die Sympathie Nerudas erkämpft und dessen Verse heimlich zur Eroberung seiner Geliebten nutzt, ist einfach bezaubernd. Laura Weidner in ihrer zweiten Rolle am Euro Theater (nach der Lucie in Goethes Stella) ist mit mädchenhafter Scheu und frischer Körperlichkeit eine unwiderstehliche Beatriz, der selbst Dante seinen Segen gegeben hätte. Kein Wunder, dass Neruda - selbst ein berühmter Liebhaber der schönen Wörter und ebenso der schönen Frauen - seinem jungen Freund nicht nur mit geliehenen Gedichten hilft. Die Liebesbegegnung von Mario und Beatriz ist stumm und getragen von einer exquisiten federleichten Erotik.
Dona Rosa, Beatriz' strenge Mama, nimmt zwar selbst gegenüber dem berühmten Dichter kein Blatt vor den Mund, wenn's um die Rettung der töchterlichen Unschuld geht. Angela Fischer (neu am Euro Theater) gibt der tüchtigen, mit allen Wassern gewaschenen Strandkneipenwirtin südliches Temperament und flammenden mütterlichen Instinkt. Wie sie alle Verachtung der Welt in das verführerisch fremde Wort „Metapher“ legt und kurz darauf vor dem beredten Charme des alten Dichters die Segel streicht, um sie danach gegen die Politik der Sozialisten, an der sie zeitweise gut verdient, wieder aufzublähen, ist ein spielerisches Kabinettstück.
Viktor Weiss verzichtet auf jede äußerliche Ähnlichkeit mit Neruda, dringt aber um so tiefer in die Persönlichkeit des trotz aller Ehrungen einsamen Sprachspielers und Bilderschöpfers ein. Mit fein geschliffener Ironie zeichnet er seine Zweifel an der Macht der Wörter über die Menschen, seine Sympathie für die Nöte der kleinen Leute und seine Kapitulation vor der großen Politik. Dass ihm die Präsidentschaftskandidatur erspart bleibt, nimmt er eher mit Erleichterung auf. Als Botschafter der sozialistischen Regierung Allendes in Paris sehnt er sich nach seiner Insel, deren Geräusche ihm Marios - inzwischen um den kleinen Patensohn Nerudas angewachsene - Familie per Tonband sendet: Wortlose Briefe von der Poesie des Meeresrauschens, des Möwengeschreis und der Glocke auf dem Hof. Nach dem rauschenden Fest zur Nobelpreis-Verleihung 1971 wird sie zur Totenglocke. Der alte, kranke Neruda kehrt auf seine Insel zurück und stirbt wenige Tage nach dem gewaltsamen Tod Allendes 1973. Mario bringt ihm unter Lebensgefahr die letzten Telegramme aus aller Welt, bevor er zu einem der Tausenden wird, die unter Pinochets Diktatur spurlos verschwanden. Es hat diesen tapferen kleinen Postboten, der mit brennender Geduld die Liebe, die Freundschaft und die Dichtung für sich entdeckte, aber tatsächlich gegeben; seiner Frau Beatriz gelang die Flucht in die USA.
Marianne de Pury erzählt die Geschichte von Neruda und seinem Briefträger erfrischend unsentimental mit zärtlichem Witz. „Ich war der verlassenste aller Dichter, und meine Dichtung war regional, traurig und regnerisch, aber ich habe immer auf den Menschen vertraut. Ich habe nie die Hoffnung verloren“, sagte Pablo Neruda am Ende seiner Nobelpreisrede. Das Euro Theater beweist das mit dieser hervorragenden Inszenierung. Und damit auch den allerletzten Satz von Nerudas Rede: „So wird die Poesie nicht vergebens gesungen haben.“ E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden inkl. Pause
Im Programm bis: ???

Donnerstag, 15.03.2007

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