Emilia Galotti - kultur 35 - März 2007

Bambikiller - Emilia Galotti von G. E. Lessing in den Kammerspielen

„Was macht die Kunst?“ - „Prinz, die Kunst geht nach Brot.“ Der große Dialog über die Kunst zwischen Hettore Gonzaga und dem Maler Conti wird in Kay Voges' kurzweiliger Reduktion von Lessings Emilia Galotti durchaus ernst genommen und lässt auch gleich die thematische Grundlinie erkennen, auf der sich die Interpretation bis zum tödlichen Ende bewegt: das Spiel mit Sein und Schein. Die Bilder, die Conti seinem Herrn präsentiert, sind blendend weiß, die Abbildung existiert nur in den Köpfen und ist beliebig mit Sinn und sinnlichen Impulsen zu füllen. Dass Günter Alt als Conti zu Beginn die große Show abzieht mit „Who killed Bambi?“ von den Sex Pistols, ist ein lustiger Knalleffekt. Der Sex bleibt ziemlich unterkühlt in diesem Rokoko-Krimi, die Pistole ersetzt den Dolch, weshalb für Zartbesaitete auch Ohrenstöpsel zur Verfügung stehen. Das niedliche Bambi kippt mit der metallisch glänzenden Wand, die sich als Boden für die bodenlose Geschichte niedersenkt, in eine standfeste Position und bleibt einfach da, eher störend als verstörend und ein bisschen albern, aber tauglich als Kuscheltier und Kleiderablage im ansonsten sparsam möblierten Bühnenraum (Ausstattung: Pia Maria Mackert).
Ab und zu tanzt Emilia später zur flirrenden Musik von Michael Barfuß wie ein Spieluhr-Püppchen durch die kahle, von Guido Paffen allerdings mit sensiblen Farbstimmungen ausgeleuchtete Szenerie, eine hübsche Marionette der männlichen Phantasien. Vater Odoardo Galotti (mit eisiger Strenge und am Ende abgrundtiefer Verzweiflung: Wolfgang Jaroschka) will sie als Heilige und misstraut ihr selbst beim Kirchgang. Sie trägt ein leuchtendes Neonkreuz vor sich her wie einen Schutzschild und ist dem Blick des fremden Begehrens dennoch nicht gewachsen. Nina Weiß mit blonden Locken und kurzem Ballonröckchen spielt die verstörte Unschuld und die Angst vor dem eigenen Gefühl nicht als verhuschtes zartes Rehlein, sondern als durchaus lebendige junge Frau, die zwischen den Bildern, die die anderen sich vor ihr machen, ihre eigene Identität sucht. Regisseur Voges lässt jedoch alle Figuren mit einer merkwürdig gebremsten Emotionalität agieren, als ob sie Lessings Text nur zitierten und in der starren Schematik der von Lüge zu Lüge sich abspulenden Intrige immer leicht außen vor stünden.
Ralf Drexler karikiert den Höfling Marinelli als immer leicht geduckten rabenschwarzen Bösewicht, lässt hinter der Dienstfertigkeit aber eine verhaltene Wut aufscheinen. Anke Zillich ist eine robuste Mutter Claudia, bis sie angesichts des Unheils den Kopf verliert und sich herrlich theatralisch kopfüber die Wendeltreppe in den Bühnenuntergrund stürzt. Xenia Snagowski hat einen großartigen Auftritt als eifersüchtige, aber vor allem kluge Gräfin Orsina mit kriminalistischem Sachverstand, raffiniert desillusionierter Hysterie und einer Pistole im schicken Handtäschchen. Peter Nitzsche als adeliger Bräutigam Graf Appiani hat für den edlen Charakter und die bürgerliche Moral von Schwiegerpapa Odoardo ohnehin mehr übrig als für die unübersehbaren Reize seiner zukünftigen Gattin und außerdem die Gnade des frühen Todes. Dass Emilia ihm angesichts der prinzlichen Ent- und Verführungsmacht keine Träne nachweint, ist bedauerlich, aber begreiflich. Rafael Rubino ist mit wechselnden, mehr oder minder offenherzigen Glitzeranzügen eine Mischung aus Pop-Star und zu groß geratenem Monsterkind. Naiv selbstverliebt, mal prollig schnöselig, mal erstaunlich nachdenklich, mit der Intelligenz der Macht gemeingefährlich. Dass Emilia ihm erliegt, liegt eher an ihrer Illusion von einem Märchenprinzen als an seiner erotischen Ausstrahlung.
Das Ende kehrt Lessings bürgerliches Trauerspiel um. Emilia hebt ihr Röckchen und zeigt nicht die Angst vor der Verführbarkeit, sondern deren Vollzug, egal ob imaginiert oder real. Emilia will leben, weil sie jenseits aller Gewalt das Leben selbst erkannt hat. Die blutige Rettung der verlorenen Unschuld ist von gestern, der Sturm des heißen Blutes und der sinnlichen Erfahrung sind von heute. Wenn Papa sein zerstörtes Töchterchen-Ideal abknallt, ist das kein sittlicher Sieg über das Böse mehr, sondern ein ganz banaler eigensüchtiger Ehrenmord. Und natürlich auch nur der reversible Schein, den das Programmheft mit dem leicht aus der Mode gekommenen französischen Philosophen Jean Baudrillard herbeizitiert. Klar, Emilia steht ganz unverletzt wieder auf und verabschiedet sich in ein fernes Licht. Heilige, Hure oder Heideröslein-Opfer - das Bild der Emilia Galotti bleibt so ambivalent, wie es seit 1772 immer schon war. Die Inszenierung bleibt eine kippelige Gratwanderung auf Lessings Spuren und rutscht zwischen Bambikitsch und Killerkünstlichkeit gelegentlich in eine gefährliche Schieflage.
Gotthold Ephraim Lessings Drama müssen ohnehin alle Abiturientenjahrgänge 2007 und 2008 lesen, weil's Prüfungsthema des neuen Zentralabiturs in NRW ist, was zu einer Emilia-Inflation auf den Bühnen des Landes geführt hat. Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert: Davon sieht man nicht sonderlich viel in den Kammerspielen, und das „Bürgerliche Trauerspiel“, das lange vor der großen bürgerlichen Revolution das deutsche Theater neu begründete, macht sich dort reichlich klein. „Eigentlich ist es ein Thema, das Jugendliche ansprechen sollte. Ein junger Mann verliebt sich in ein Mädchen, das eigentlich schon vergeben ist. Doch wenn die Lernenden hören, dass es dabei um einen Dramentext geht, schalten sie schon mal ab.“ Fürchtet allen Ernstes „Lehrer-Online“ und empfiehlt als Ausweg von der Wikipedia-Schmalspur Emilia-Weblog etc. Dann doch lieber den Geist anschalten und Emilia Galotti auf der Bühne sehen.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., keine Pause
Im Programm: ???

Dienstag, 12.08.2008

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