Die unendliche Geschichte - kultur 50 - Oktober 2008

Fantastische Reise durch Raum und Zeit
Die unendliche Geschichte nach Michael Ende im Jungen Theater

Allein an dem üppig wuchernden Gewand der mütterlichen Auiola (Giselheid Hoensch) kann man sich kaum satt sehen. Die Kostüme von Brigitte Winter, die aus jedem billigen Fetzen unglaubliche Kostbarkeiten zaubert, sind wieder mal eine Augenweide. Der kecke Winzling (Peter Devo Neumann) mit seiner skurrilen fern­gesteuerten Rennschnecke ist ein Hin­gucker. Der putzige Professor Engywuck (Jan Herrmann) und seine Gattin Urgl (Andrea Brunetti) mit ihrem winzigen Erste-Hilfe-Köfferchen sind ebenso witzig wie das umwerfend komische Rittertrio (Julian Tejeda, Jan Herrmann und Sören Ergang). Nathalie Renaud-Claus berührt als Atréjus tänzelnd im Sumpf der Traurigkeit versinkendes Pferdchen Artax (Choreographie: Valerie Simmonds, die auch als verirrtes Irrlicht gute Figur macht) und hält das Ende des liebenswürdigen, sechs Meter langen weißen Glücksdrachens Fuchur ständig in Bewegung. Dessen schweren Kopf trägt der Puppenspieler und -bauer Michael Schmidt selbst, der auch all die anderen großen und kleinen Figuren entworfen hat, die die Dimensionsverschiebungen im Land Phantásien plausibel machen. Er steckt ebenso in dem auf hohen Kothurnen herumtrampelnden steinernen Felsenbeißer wie in der uralten Riesenschildkröte Morla, die zu der Stimme von Giselheid Hoensch ihre himmelblauen Augen schläfrig öffnet. Das ganze erwachsene Ensemble des Jungen Theaters wechselt mit irrem Tempo zwischen unmittelbarem Schauspiel und Puppenspiel und lässt so all die seltsamen Geschöpfe Phantásiens lebendig werden.
Das Land Phantásien ist leider in höchster Gefahr, weil das Nichts sich dort breit macht. Es gibt in der Menschenwelt zu viele verlogene Schwachköpfe, die angeblich im Dienst der Wahrheit sogar den Kindern Phantásien auszureden versuchen. Glücklicherweise vergeblich, weil Michael Endes 1979 erschienener Roman Die unendliche Geschichte, der schnell zu einem weltweiten Bestseller wurde, das Ende der Geschichten verweigerte. Sein vielschichtiges narratives Gedankengebäude auf einen kurzweiligen Theaterabend zu kondensieren, ist tollkühn. In der von Intendant Moritz Seibert und Timo Rüggeberg erstellten neuen Bühnenfassung und der Regie von Andreas Lachnit hat das Junge Theater Bonn diese Probe glänzend bestanden. Einige Episoden und Fantasiefiguren fielen noch kurz vor der Premiere dem dramaturgischen Rotstift zum Opfer; geblieben ist eine Erzählung mit hintergründig fein gesponnenen Subtexten und traumhaften Bildern. Dafür hat Stefan A. Schulz ein abstraktes Bühnenbild aus silbrig glänzenden, beweglichen Rechtecken geschaffen, die Buchseiten, Spiegel und mit wechselnder Beleuchtung alle Landschaften, Städte, Paläste und Tore von Phantásien sein können. Aber auch die graue reale Welt des 12-jährigen, von seinen Mitschülern ständig gehänselten Bastian Balthasar Bux (Patrick Morschhaeuser/Biniam Graffé), der durch die Lektüre des Buches Die unendliche Geschichte zu sich selbst findet. Er wird von den erlesenen Abenteuern buchstäblich bewegt, bis er selbst Teil der Geschichte werden muss. Denn nur er weiß den rettenden neuen Namen der sterbenskranken Kindlichen Kaiserin (Xiayao Xu / Jelena Potschka). Ihr tapfers­ter Ritter ist der junge Atréju (Bazon Rosengarth / Jonathan Franz), der den Geheimnissen Phantásiens auf die Spur kommt und in Bastian einen irdischen Freund und Mitstreiter findet. Die differenzierte Rollenpräsenz der jugendlichen Darsteller ist fantastisch.
„Tu was du willst“ lautet die Botschaft des allmächtigen kaiserlichen Amuletts Auryn. Ein Freibrief für willkürliches Handeln ist das nicht. Die bedrückende Reise zu den Menschen in der Stadt der verlorenen Erinnerungen macht Bastian reif für die Rückkehr aus dem Buch ins eigene Leben. Die Wirklichkeit von Phantásien will immer neu erschaffen werden. Dem Jungen Theater ist das bei seiner ersten Premiere dieser Spielzeit perfekt gelungen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellung: 04.10.08
Für Zuschauer ab 7 Jahren

Dienstag, 10.02.2009

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