My Fair Lady - kultur Nr. 55 - Oktober 2008

Großes Stück vom Glück
My Fair Lady von Frederick Loewe und Alan Jay Lerner im Kleinen Theater

George Bernard Shaw hat sich zeitlebens gegen die Vertonung seines Stückes Pygmalion gewehrt, das er selbst als Romanze bezeichnete. Ein romantisches Happy End verweigerte er – entgegen dem antiken Mythos – der Geschichte vom Phonetikprofessor Higgins und seinem am Rand der Gesellschaft aufgelesenen Geschöpf. Erst nach Shaws Tod 1950 gaben seine Erben nach zähen Verhandlungen den Stoff frei. My Fair Lady wurde mit der schwungvollen Musik des in Wien geborenen Amerikaners Frederick Loewe (1901 – 1988) und den witzigen Texten von Alan Jay Lerner (1918 – 1986) eins der weltweit erfolgreichsten Musicals. Nach Triumphen am Broadway 1956 und im Londoner West-End 1958 wurde die deutschsprachige Erstaufführung 1961 am Berliner Theater des Westens (Dialogregie führte übrigens Wolfgang Spier) zum eigentlichen Durchbruch der neuen Gattung Musical, die zeitweise die Operette auf dem europäischen Kontinent verdrängte. Die deutschen Texte zu My Fair Lady schrieb Robert Gilbert (1899 – 1978), dem die Welt u. a. auch einige der schönsten Lieder aus Benatzkys Weißem Rössl verdankt.
Für Ohrwürmer wie „Wäre det nich wundascheen“, „Es grünt so grün“ oder „Ich hätt’ getanzt heut’ nacht“ bedarf es freilich keiner Jubiläen oder runder Geburts- und Todestage. My Fair Lady ist seit gut einem halben Jahrhundert unsterblich und kommt in der flotten Inszenierung von Egon Baumgarten so frisch auf die Bühne des Kleinen Theaters und spielt so frech ironisch mit allen sozialromantischen Klischees, dass schmallippiges Queens-English und populäres Royal Entertainment von der Princess of the Hearts bis dirty Party-Harry dagegen echt alt aussehen. Obwohl die his­torische Ausstattung von Ottowerner Meyer mit seitlich erweiterten Londonprospekten im Vordergrund, bürgerlichem Salon im Hintergrund und entzückenden Kostümen keinen Zweifel lässt: Es ist die relativ heile Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als unten und oben noch gesellschaftlich säuberlich getrennt, Geld, Macht und Moral natürlicher Besitz der männlichen Hälfte der Welt waren und der weibliche Rest wenig zu sagen hatte.
Auf den Mund gefallen ist die couragierte kleine Blumenverkäuferin Eliza Doolittle allerdings nicht, deren herzhafter Slang den Sprachforscher Higgins zur Verzweiflung bringt: „Kann denn die Kinder keiner lehren, wie man spricht?“ Die junge Anna Lehmann spielt und singt dieses schmuddelige Hinterhofgewächs, das durch strenge Sprachschulung zur brillanten Ballprinzessin mutiert, einfach hinreißend. Ihre Eliza ist schüchtern und wütend, naiv gescheit und behält bei allen Prüfungen das Herz auf dem rechten Fleck. Ihr ebenbürtiger Partner im amüsanten Gesellschaftsspiel ist Steffen Laube (in der Ära Beilharz Mitglied des städtischen Schauspiel-Ensembles) als Henry Higgins. Mit verknautschtem Trenchcoat und skurrilem Detektivhütchen ist er der Inbegriff der gelehrten Weltfremdheit. Bei aller verschrobenen Arroganz und trotzigen Gefühlsverweigerung hat dieser exzentrisch egomanische Herrscher im Reich der Linguistik jedoch einen solch unverschämten Charme, dass Eliza das erträumte Erschießungskommando schließlich doch zurückpfeift und ihrem hilflos durchgeknallten Helden doch noch eine Chance einräumt. Die Alternative wäre der nette Freddy, der in der „Straße, wo du lebst“ jeden Frühlings-Fliederbusch zärtlich anschmachtet, aber außer seinem guten Namen und seinem sehnsüchtigen Herzen nicht viel zu bieten hat. Markus Schneider leiht diesem Sonnyboy zudem noch eine solch schöne Stimme, dass der Weg zum Traualtar fast schon sicher scheint.
Den muss erst mal Elizas sauberer Papa Alfred P. Doolittle beschreiten – halbwegs nüchtern und möglichst pünktlich. Axel Kraus gibt dem zum eigenen Leidwesen zu plötzlichem Reichtum gelangten Müllkutscher eine irrwitzige bodenständige Komik. Stefan Stechmann und Frank Ferner assis­tieren ihm sängerisch und spielerisch munter nicht nur bei seinem letzten aufrechten Gang. Erwin Geis­ler ist der noble Oberst Pickering, der in allen Lebenslagen perfekte Haltung bewahrt und begriffen hat, dass der Unterschied zwischen einer Lady und einem Blumenmädchen nicht darin besteht, wie sie sich benimmt, sondern wie man(n) sich ihr gegen­über verhält. Als Higgins’ guter Hausgeist Mrs. Pearce sorgt Ursula B. Kannegießer für Anstand und Würde. Eine Klasse für sich ist Renate Clair als elegante Mrs. Higgins. Ihr genügt eine mütterlich hochgezogene Augenbraue, um ihren ungezogenen Sohn zur Raison zu bringen. Dass sie dessen Objekt weiblich solidarisch unter ihre Fittiche und menschlich ernst nimmt, beweist ein außergewöhnliches Format.
Klaus Neumann als Kneipenwirt und eine Schar munterer Blumenmädchen komplettieren das Ensemble, das in der raffinierten Choreographie von Gaby Kreutz wirklich jeden Quadratzentimeter der kleinen Bühne füllt. Die Ascot-Gavotte, bei der tatsächlich alle auf den Beinen sind, ist ein atemberaubend witziges Meisterstück. Dass da nicht auch noch ein Orchester hinpasst, versteht sich – die Begleitmusik kommt vom Band, was der guten Laune keinen Abbruch tut. „Mit ’nem kleenen Stück­chen Glück…“ kommt man direkt in den Musical-Himmel. Das Kleine Theater hat die Türen dafür zu Beginn seiner 50. Spielzeit weit geöffnet.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: 17.10.08
Für die letzten ca. 15 Vorstellungen gibt es nur noch wenige Restkarten!

Dienstag, 10.02.2009

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