Spark, Muriel: In sturmzerzauster Welt / Tully, James: Die Verbrechen der Charlotte Brontë und das Geheimnis von Haworth

kulltur Nr. 10 - 10/2004

Charlotte, Anne und Emely Brontë und ihr Bruder Branwell, die mit ihrem verwitweten Vater im düsteren Pfarrhaus an der englischen Nordküste in „sturmzerzauster“ Welt lebten, sind die wohl berühmteste Familie des viktorianischen Zeitalters - zumindest was die Literatur betrifft.
Alle drei Schwestern haben Romane geschrieben und gedichtet. Ihre Erstlinge „Jane Eyre“, „Wuthering Heights“ (Charlotte und Emily) sind in die Weltliteratur eingegangen, nicht ganz so berühmt wurde Annes „Wildfell Hall“. Ihr Bruder, der als schwarzes Schaf der Familie galt und sich früh das Leben nahm, der dem Alkohol, den Drogen und dem Spiel verfallen war, schrieb „nur“ Erzählungen. Sie alle lebten in dem elterlichen Pfarrhaus am Rande des Moors, wurden kaum 30 Jahre alt, waren von häufigem Sturm zerzaust und haben Leser und Literaten bis heute bewegt. Diese neuen Bücher beweisen es. In einer Zeit ohne Telefon und Auto, also mit für uns kaum vorstellbaren Bewegungseinschränkungen, schrieb man Briefe, an jedermann und ständig. Als „höhere Tochter“ hatte man auch kaum etwas anderes zu tun. So und nur so sind uns - sofern die Briefe aufbewahrt und die Absender berühmt waren - authentische Einblicke in das Leben damaliger Zeiten und Familien möglich.
Muriel Spark bedient sich in ihrer Autobiographie vieler Briefe der Charlotte Brontë, der ältesten und spiritus rector der Schwestern. Sie zeigt viel von den Werken, vor allem den Gedichten der Emily, wobei sie eine Interpretation des Charakters der drei versucht. Die kurze Ehe der Charlotte mit dem Hilfspfarrer des Vaters am Ende ihres Lebens wird nur gestreift.
Ganz anders dagegen ist das Buch von James Tully, der ein bekannter englischer Kriminologe war (er starb 2001). Er hält sich an die bekannten Fakten, stellt aber den späteren Ehemann Nicholls in den Mittelpunkt, und er macht ihn zum Serienmörder, dem es gelingt, alle Schwestern ins Jenseits zu befördern, obwohl sie doch „bescheinigt“ an der Schwindsucht starben. So bringt er sich selbst in den Besitz des Vermögens und stirbt schließlich reich und hochbetagt in seiner irischen Heimat. Seine Liebesgeschichte mit der langjährigen Dienstmagd, deren Aufzeichnungen gefunden werden, als der Autor den Dachboden des geerbten Hauses entrümpelt, bilden den Hauptteil dieses amüsanten Krimis, der die heilig-mäßigen Schwestern ebenso entglorifiziert, wie er versucht, sie glaubhaft darzustellen. So entstand dieses Buch, über dessen Wahrheitsgehalt gestritten werden kann, das aber sicherlich die Diskussion um das kurze und bis heute faszinierende Leben der Brontë-Schwestern bereichern wird.

Muriel Spark:
In sturmzerzauster Welt,
Diogenes Verlag,
557 S., 29,90 €.

James Tully:
Die Verbrechen der Charlotte Brontë und das Geheimnis von Haworth,
dtv premium,
277 S., 15 €.

Mittwoch, 05.01.2011

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