Menasse, Eva: Vienna

kultur Nr. 22- Dezember 2005

Was immer man sich unter diesem Titel vorstellen mag, ich glaube, es trifft's nicht. Auch das Umschlagbild assoziiert eigentlich nichts, also - dachte ich - erzähle ich es Ihnen:
Es ist eines der amüsantesten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. ”Vienna” steht für Wien, und so ist zumindest der Standort gegeben? Nein, wieder falsch - oder doch nicht ganz richtig. Es geht um eine jüdische Familie, eine weitverzweigte und im 20. Jahrhundert arg gebeutelte, auseinander getriebene und/oder vernichtete Familie. „Mein Vater war eine Sturzgeburt”, so beginnt es, mitten im (ständigen) Bridgespiel seiner Mutter kündigte er sich an. Sie stammte aus Mähren, war selten mit der Welt und ihrem Leben zufrieden, mit ihrem Mann schon gar nicht, und so spielte sie stundenlang und täglich Bridge.
Der Vater der Erzählerin, die ”Sturzgeburt”, wurde, als die Nazis Wien und Österreich besetzt hatten, nach England geschickt. Später, als er nach dem Krieg zurückkam und kaum noch Deutsch konnte, wurde er ein National-Fußballspieler, heiratete zweimal, wurde Vater, Großvater und starb hochbetagt.
Eva Menasse erzählt die Geschichte einer Familie, eingebettet in die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, nicht irgendeiner, sondern einer jüdischen Familie. Alle sind ein wenig ”meschugge”, sind ungeheuer liebenswert, charmant, intelligent, wie ihre Protagonistin, die von ihnen berichtet. Man hat das Gefühl zuzuhören, amüsiert und betroffen. Fast unmerklich schreitet die Zeit voran und die ”Sturzgeburt” weiß am Ende seines langen Lebens plötzlich gar nicht mehr, ob er ein Jude ist, denn seine Mutter war eine Katholikin aus Mähren. Wieso das ganze Leid? Ja - wieso eigentlich?

Donnerstag, 19.01.2012

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