Lewinsky, Charles: Melnitz

kultur 32 - Dezember 2006

„Immer, wenn er gestorben war, kam er wieder zurück“ - der Onkel Melnitz nämlich, der diesem riesigen Familienroman den Namen gibt.
Zu Beginn, 1871, wird er gerade beerdigt, am Ende des Buches, nach 764 Seiten, kommt er nicht allein, „er hatte sich Verstärkung mitgebracht, denn einer allein kann gar nicht so viele Geschichten erzählen“.
Inzwischen haben wir vier Generationen der Mischpoke Meijer kennengelernt, haben mit ihnen gelebt und gelitten und seltener gelacht - es war noch nie eine gute Zeit für Juden, auch nicht in der Schweiz Ausgang des 19. und schon gar nicht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Welt aus den Fugen geraten war und kaum noch etwas be- und erhalten werden konnte von den guten alten Zeiten.
764 Seiten kann man nicht erzählen, sowieso möchte ich viel lieber, dass Sie dieses unglaubliche wunderbare Buch auch selbst lesen. Selten habe ich in den letzten Jahren eine so schöne Sprache gefunden, einen Lese-Genuss par excellence. Die durchweg meschuggen Familienmitglieder wachsen einem unmerklich ans Herz, der eine mehr, der andere weniger. Es beginnt bei Janki, der eines Tages auftaucht im Judendorf Endingen, aus Paris kommt, aber eigentlich als Deserteur bei der Schlacht von Sedan, und es endet bei Arthur, der als Arzt in Zürich lebt und versucht, Gutes zu tun an den Menschen, die nur ihr Leben zu retten versuchen und ihre Heimat verlassen müssen, damals, in den schlimmen dreißiger Jahren. Nach dem 2. Weltkrieg will sein Neffe Hillel auswandern nach Israel, aber das gibt es noch nicht, aber den Antisemitismus, den gibt es auch in der Schweiz, und es gibt auch Terror, perfide Quälereien und bornierte Dummheit.
Menschen sind überall gleich, immer und jederzeit, niemand weiß das besser als Onkel Melnitz, der immer wiederkommt, so oft er auch gestorben ist, und der seinen nahen und fernen Nachkommen mit all seinem Wissen und seiner Klugheit doch nicht wirklich helfen kann. Leben müssen sie selber.
Lesen sollten Sie selber, ich kann dieses gewaltige, traurige, herrliche Buch nicht genug empfehlen.

Melnitz
- von Charles Lewinsky,
Nagel + Kimche Verlag AG,
Februar 2006,
776 S.,
gebunden, 24,90 €.

Donnerstag, 19.01.2012

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