Enquist, Anna: Letzte Reise

kultur Nr. 59 - Oktober 2009

Erinnern Sie sich noch, in der Mai-kultur (Nr. 57) stellte ich Ihnen den neuen Roman von Lukas Hartmann vor, der unter dem Titel Bis ans Ende der Meere die Geschichte des Malers John Webber erzählt, der James Cook auf seiner letzten Reise, von der er nicht wiederkehrte, begleitet hat. Um genau diese „letzte Reise“ geht es in dem Buch, das ich Ihnen heute empfehlen möchte. Der Roman Letzte Reise von Anna Enquist ist die Geschichte von Elisabeth Cook, der Ehefrau des Mannes, die immer zurück und allein blieb und jahrelang auf ihn wartete, immer schwanger war, wenn er abreiste, immer allein, wenn sie niederkam, und oft war das Kind schon tot, bis der Vater zurück kam, und sie lernten einander nie kennen.
Zwei Söhne, die ältesten, haben überlebt, natürlich mussten sie in jungen Jahren in die Kadettenschule und zur See gehen bzw. fahren, auch der jüngere, der Musiker werden wollte, hatte keine Wahl. Das dritte Kind, endlich eine Tochter, starb mit vier Jahren durch einen Unfall, die zwei nächsten, auch Jungen, starben kaum dass sie gelebt haben. Das sechste Kind, geboren vor dem Aufbruch zur „letzten“ Reise, eine Tochter, wie sie fest glaubte, wurde wieder ein Sohn und blieb ihr immer fremd, sie hatte keine Milch, sie wollte ihn nicht, er war ein Junge, und das Meer würde ihn nehmen...
Sie ist eine sehr starke Frau, diese Elisabeth, eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Die Schilderung ihres einsamen, durchaus nicht ungeliebten Lebens geht sehr nahe, ist streng und dicht erzählt und lässt einen nicht los. Elisabeth überlebt alle ihre sechs Kinder und muss fertig werden mit dem furchtbaren und ungeklärten Tod ihres Mannes, der für alle ein Held ist und den niemand so kennt wie sie. Ihre Wut und ihre Trauer, der Schmerz, der sie zeitweise versteinern lässt, mit dem sie über neunzig Jahre alt wird... man muss sie bewundern, auch bedauern natürlich, aber man begleitet sie voller Hochachtung.
Es gibt eine Ausstellung über James Cook in der Bundeskunsthalle, und ich bin sehr gespannt, wie uns Elisabeth dort begegnen wird, und ob überhaupt? Was zählten schon die Frauen in der damaligen Männerwelt???

Letzte Reise
Roman von Anna Enquist,
Luchterhand Literaturverlag,
Dezember 2006,
416 Seiten, gebunden, 21,95 €.
oder
btb, Oktober 2008, 416 S.,
kartoniert/broschiert, 9,00 €.

Mittwoch, 05.01.2011

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