Ziv Frenkel - kultur 33 – Januar 2007

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Ziv Frenkel - Ein Tänzer und Choreograph zwischen Sparamt und Ring

Bei der langen Bonner Kulturnacht im Oktober wurde im Alten Malersaal Sparamt 008 uraufgeführt, ein Stück von Ziv Frenkel und Valentí Rocamora i Torà. Die beiden gehören zum Ensemble des Choreographischen Theaters Bonn, dessen Einsparung 2008 so gut wie amtlich ist. Die Tänzer sausten mit halsbrecherischem Tempo auf Rollstühlen und Bürosesseln über die Bühne, Lehrsätze aus der schönen neuen Welt des Kulturmarketing wurden ironisch zitiert, Susanne Blattert aus dem Opernensemble sang ein spanisches Lied gegen die Angst (Voy a perder el miedo) und die Schauspielerin Susanne Bredehöft stürzte sich mit poetischen Texten Rimbauds auf den Lippen kopfüber in einen Krankenstuhl. Ziv Frenkel verbindet gern verschiedene Künste und mit seiner tänzerischen Phantasie immer auch eine Meinung. Und natürlich war seine choreographische Groteske ein Protest gegen die leichtfertige Abwicklung des Tanzes, die ja leider in vielen Städten auf der politischen Tagesordnung steht.
Für den Tanz als seine Ausdrucksform hat sich Ziv - mittlerweile auch ein mit diversen Preisen ausgezeichneter Choreograph - verhältnismäßig spät entschieden. Geboren wurde er 1962 im Kibbuz Beit-Alfa in Nordisrael in der Nähe von Nazareth. „Die Kunst spielte in unserem Kibbuz, dieser besonderen Form des Sozialismus, eine sehr wichtige Rolle. Zu allen Festtagen machten wir Theater, sangen und tanzten. Israel ist bei aller Kritik an der Politik ein Teil meiner Identität. Meine fünf Geschwister leben dort.“ Bei unserem Treffen in der Hausbar liest Ziv gerade eine in der Zeit unter dem Titel „Wir sind Opfer unserer Ängste“ erschienene Rede des israelischen Schriftstellers David Grossmann, ein flammender Appell an die Regierung, den Dialog mit den Palästinensern über alle Abgründe hinweg zu suchen.
Während der Schulzeit gehörte Zivs besondere Vorliebe der Keramik. „Aus Ton Figuren zu formen und die Plastik überhaupt haben ja durchaus was mit dem Tanz zu tun. Aber die Lust an der Bewegung - du kannst das ruhig doppeldeutig verstehen als körperliche Bewegung und als politische Haltung, also als stetige Arbeit an der gesellschaftlichen Veränderung - wurde immer stärker.“ Nach dem militärischen Pflichtdienst begann Ziv 1983 eine Ausbildung an der Jordan Valley Dance School. „Wir lernten dort alles vom klassischen Ballett bis zum Modern Dance, aber auch Schauspiel und Bühnenbild. Ein bisschen komisch war's schon, beim Ballett mit acht bis zehn Jahre alten Mädchen im selben Kurs zu sein. Ich kam mir als junger Mann von 21 Jahren vor wie der Riese Gulliver.“
Auf die Grundausbildung folgte 1986 ein zweijähriger Workshop bei der international berühmten Gründerin der Kibbuz Contemporary Dance Company Israel Yehudit Arnon. Von 1988 bis 1995 war Ziv festes Mitglied dieses Ensembles. Dort entstanden auch seine ersten eigenen Choreographien. „Unser Repertoire umfasste viele klassische Werke, auch Stücke für Kinder wie Peter und der Wolf oder Karneval der Tiere, was mir ganz großen Spaß gemacht hat. Vor allem haben wir aber an selbst entwickelten Stücken gearbeitet. Yehudit wollte neben der tänzerischen Perfektion immer eine genaue Aussage von uns haben.“
Ein paar Monate lang war die Tänzerin und Choreographin Susanne Linke (neben Pina Bausch und Reinhild Hoffmann die wichtigste deutsche Tanztheaterfrau ihrer Generation) bei den Kibbuz-Tänzern zu Gast. Ziv war elektrisiert von ihrer subtilen Ästhetik und schrieb ihr kurz nach ihrer Rückkehr einen Brief nach Bremen, wo sie als Nachfolgerin von Johann Kresnik gerade am Stadttheater eine neue Truppe aufbaute. Linkes Antwort war ein schlichtes „Ja!“. Unter ihrer Leitung arbeitete Ziv von 1995 bis 1999 am Bremer Tanztheater. „Ich konnte kein Wort Deutsch, als ich in Bremen ankam und habe überhaupt nicht damit gerechnet, mehr als ein Jahrzehnt in Deutschland zu bleiben.“ Dass er blieb, liegt an Johann Kresnik, dessen politisches Tanztheater ihn sofort in seinen Bann zog. 1999 wechselte Ziv zu Kresniks Choreographischem Theater an der Berliner Volksbühne und zog mit ihm 2003 nach Bonn. „Bei Kresnik versuchen wir, mit jedem Schritt eine Geschichte zu erzählen. Entscheidend ist dabei immer die Gruppe. Es gibt deshalb selten eindeutige, durch das ganze Stück hindurchgehende Figuren. Vor ein paar Tagen war ich in der wunderschönen Bonner Guggenheim-Ausstellung. Kresnik macht eigentlich nichts anderes als Picasso. Er zeigt Personen gleichzeitig aus verschiedenen Blickwinkeln und mit ganz unterschiedlichen Facetten. Seltsam, dass das in der bildenden Kunst inzwischen problemlos akzeptiert wird, beim Tanz aber irritiert.“
Zivs erste Arbeit mit Kresnik waren 1999 Die letzten Tage der Menschheit in einem Bremer U-Boot-Bunker. „Wir haben mit dicken Mänteln und Stiefeln geprobt, weil es dort eiskalt war. Aber die Produktion ist sechs Jahre lang immer wieder mit großem Erfolg gelaufen.“ Zu seinen Lieblingsrollen in Bonn gehören Trotzki in Frida Kahlo und der überdrehte Schlagersänger Gottlieb Wendehals in Ulrike Meinhof. In der neuesten Produktion des Choreographischen Theaters Bonn, dem ersten Teil von Kresniks Ring des Nibelungen, wird er neben vielen anderen Figuren ganz kurz zwei klar definierte Personen verkörpern: den Philosophen Friedrich Nietzsche und den Rosen züchtenden Kanzler Konrad Adenauer. „Hast du als Israeli Probleme mit Wagners germanischer Mythologie?“ - „Ehrlich gesagt kaum. Natürlich beschäftigen wir uns auch mit dem Antisemitismus Richard Wagners. Aber seine Musik habe ich schon als Schüler auf Schallplatten gehört. Ganz unbefangen: Tristan neben Pink Floyd!"
Ziv hat in Bonn neben seinen Auftritten als Tänzer auch immer wieder eigene Choreographien gezeigt: Die witzige Butterfly-Rache z.B. in dem Gemeinschaftsprojekt Six-Pack 2004, Satellit 8 in den Eingeweiden des Opernhauses und Bonnbay zur Indien-Biennale 2006. Letzteres hat er zusammen mit seinem Tänzerkollegen und Lebensgefährten, dem Spanier Valentí Rocamora i Torà, entworfen, ebenso wie den Dybbuk in Fünf fremde Fabulierer zu Beginn dieser Spielzeit. Diese Geschichte aus der jüdischen Mythologie hat nicht nur etwas mit Zivs Herkunft zu tun, sondern auch mit seinem Interesse an der Tanzgeschichte. „Mein Dybbuk ist eine versteckte Hommage an die heute 95-jährige Wera Goldmann, die noch in hohem Alter eine grandiose Fassung dieses Stoffes getanzt hat.“ Ziv hat mehrere der großen alten Damen des internationalen Tanzes persönlich kennengelernt, arbeitet regelmäßig für das Deutsche Tanzfilminstitut in Bremen und hat von dort Kontakte zur Israelischen Tanzbibliothek in Tel Aviv geknüpft. „Bremen ist meine zweite Heimat“ - nicht zuletzt, weil dort die auf vielen Festivals gefeierte freie Steptext Dance Company residiert, zu deren Mitbegründern Ziv 1996 gehörte. „Geschichte in Bewegungen festhalten ist vielleicht wie Schreiben im Wasser, aber eine unglaublich faszinierende Aufgabe.“

Dienstag, 25.02.2014

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