Volker Muthmann - kultur 56 - 4/2009

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Volker Muthmann: Märchenprinz, Marquis Posa und O’Neills Edmund

In der Kleinen Meerjungfrau nach Andersens Märchen hat Volker Muthmann sich in der Spielzeit 2007/08 dem Bonner Publikum vorgestellt und im Sturm viele Herzen erobert. Alle Kinder mochten den kecken jungen Prinzen mit dem roten Lockenschopf und fieberten mit, als er vom Hof auf hohe See ausbüchste, beim Untergang seines Schiffes beinahe als Haifischfutter endete und von der entzückenden Nixe gerettet wurde, die unter Schmerzen schließlich auch sein Herz eroberte. Es war Volkers erste Kindertheater-Erfahrung als Profi­schauspieler und hat ihm großen Spaß gemacht.
„Der direkte Kontakt mit den jungen Zuschauern war toll!“, erzählt er beim Gespräch an einem total verregneten Märztag, an dem man am liebsten gleich in südlichere Gefilde fliehen möchte. Dass Volker am Ende dieser Spielzeit Bonn verlässt, um „neue Hunger leidende Varianten des Berufs“ zu erkunden und vor allem andere Spielformen zu erproben, hat tatsächlich etwas mit einer ganz konkreten Italiensehnsucht zu tun: Sie heißt Laura Bombonato, lebt im norditalienischen Alessandria und arbeitet dort als freie Schauspielerin und Regisseurin. Kennengelernt haben sie sich allerdings 2004 bei einem Theaterprojekt in Hamburg. „Und wie das so ist bei Profis“ – aus einem Bühnenpaar wurde auch privat eins.
In Lauras Regie hat Volker am Staatstheater Darmstadt Eichendorffs romantische Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts als Monolog erarbeitet. „Es war eine Mischung aus Erzählung und szenischer Darstellung. Ich habe gesungen und Geige gespielt. Richtig schön war, dass das Publikum die Lieder mitgesungen hat und am Ende sogar noch weitersingen wollte. Musik kommuniziert noch mal ganz anders, schafft Kontakte zwischen Bühne und Zuschauerraum. Ich mag es, wenn die vierte Wand offen ist und die Leute spüren, dass auf der Bühne echte Menschen etwas verhandeln für echte Menschen, die das sehen und daran teilhaben können. Natürlich gibt es die Vereinbarung der Fiktionalität, selbstverständlich muss man vorsichtig mit dem Paradox der vermittelten Unmittelbarkeit umgehen und auch das legitime Bedürfnis nach klaren Trennungen respektieren. Ich bin ein totaler Fan des italienischen Schauspielers Paolo Rossi, der die Tradition des Capocomico der Commedia dell’Arte fortsetzt, sozusagen als Chefkomiker einer Truppe. Seine Inszenierungen und Soloprogramme sind genau gebaut, aber er hält alles immer beweglich, und er ist ein genialer Kommunikator. Der etwas vernutzte Begriff ‚Improvisation’ bedeutet ja nicht Beliebigkeit, sondern Reaktionsfähigkeit und lebendige Beweglichkeit. Ich meine das im Sinn von Peter Ustinov, der es in etwa so formuliert hat: Gute Schauspieler wiederholen, was sie geprobt haben, große Schauspieler machen immer alles neu. Oder so ähnlich...“
Geboren wurde Volker Muthmann 1977 in Hagen, wo er nach dem Besuch der Waldorfschule und einem Auslandsschuljahr in den USA 1997 am Christian-Rohlfs-Gymnasium sein Abitur machte. Geigenunterricht hatte er seit seiner Kindheit und war viele Jahre Mitglied in verschiedenen Jugendorchestern. Er wirkte in Schultheatergruppen mit, wurde vom Theatervirus aber erst richtig angesteckt im Literaturkurs der Jahrgangsstufe 12 durch einen jungen Referendar, der nebenbei in einer Bochumer freien Theatergruppe aktiv war. Volker half dort als Beleuchter und in diversen anderen Funktionen aus. Beim Zivildienst bei der Caritas in Freiburg im Breisgau traf er auf einen Kollegen, der in einer freien Gruppe spielte, als Clown in Kinderkrankenhäusern auftrat, Theater mit Behinderten machte und ihn weiter für die Bühne begeisterte. Volkers erste Vorsprechrunde bei diversen Schauspielschulen scheiterte. Er schrieb sich an der Uni Freiburg für Politikwissenschaft, Geschichte und Anglistik ein, war vom wissenschaftlichen Studium nur mäßig überzeugt und spielte in einer Studentengruppe auf Englisch den Shylock in Shakespeares Kaufmann von Venedig. Was einer alten Schauspielerin, die ihn dort zufällig sah, so gut gefiel, dass sie ihn an die private Schauspielschule einer Freundin in München empfahl. Volker hatte sich inzwischen eine zweite und letzte Chance eingeräumt, sprach diesmal erfolgreich vor, entschied sich für Bochum und überbrückte die Monate bis zum Studienbeginn 2000 am Münchener Schauspielstudio Gmelin.
In Bochum war er in derselben Klasse wie Arne Lenk, der ihn 2007 auf ein Vorsprechangebot in Bonn hinwies. Noch während des Studiums standen beide in Schillers Räuber gemeinsam in Wuppertal auf der Bühne: Arne als Franz, Volker als Karl. Beide wirkten u. a. in dem Stück Seele des Dichters mit, das Klaus Pohl für ihre Bochumer Klasse geschrieben hatte und trafen sich nach dem Diplom 2004 bei den Domfestspielen Bad Gandersheim wieder: Arne war Robin Hood in der Familienproduktion, Volker verkörperte im Parzival die Titelrolle.
Am Staatstheater Darmstadt spielte Volker später noch mal den tumben Toren Parzival in Parabel Parzival von Simon Werle. Während Arne sich erst mal für Film und Fernsehen entschied, ging Volker, der zwischendurch auch immer wieder in Kino- und TV-Produktionen zu sehen war und ist, nach Gastspielen am Schauspielhaus Bochum und freien Theaterprojekten in Hamburg nach Darmstadt, wo er von 2004 bis 2007 fest engagiert war. Sehr fasziniert war er von dem bildhaft kraftvollen ‚Kreatur-Theater’ des polnischen Regisseurs Andrej Woron, in dessen Inszenierungen von Dr. Faustus (Marlowe) und Der blaue Vogel (Maeterlinck) er mitwirkte. Neben vielen anderen Rollen spielte er den Achilles in Euripides’ Iphigenie in Aulis in der Regie von Michael Helle, den er in Bonn wieder traf bei Shakespeare’s erfolgreicher Zähmung der Widerspenstigen, wo er in der Werkstatt immer noch als treuer Diener Tranio seinen Herrn nicht im Regen stehen lässt.
Aus Darmstadt hat Volker sich 2007 verabschiedet als Kleists verträumter Prinz von Homburg (Regie: Axel Richter). Sein Carlos auf Krücken als narzisstischer Psychocoach des wankelmütigen Titelhelden (Arne Lenk) in Goethes Clavigo war 2008 in den Kammerspielen das Glanzlicht einer leicht verunglückten Inszenierung. Als zwielichtiger, brillant scheiternder Kopfmensch und Moralterrorist Marquis Posa glänzt er derzeit in Schillers Don Karlos (Regie: Stefan Heiseke). Sein absolutes Meisterstück liefert er jedoch als todkranker, sensibler Dichter Edmund in Eugene O’Neills Familientragödie Eines langen Tages Reise in die Nacht.
„Ich bin froh, dass ich den Regisseur Ingo Berk in Bonn noch kennenlernen konnte. Er geht konzeptionell völlig sicher, im Detail sehr behutsam mit den Figuren um. Er arbeitet ganz genau und überlässt den Darstellern trotzdem sehr viel Raum und somit Verantwortung für das, was sie auf der Bühne machen. Bewegungsfreiheit und die damit verbundene Eigenverantwortung des Schauspielers sind vielleicht das, was mich im Moment am meisten interessiert...“ Deshalb möchte er nach fünf Jahren Festengagement am Stadttheater jetzt auf eigenen Füßen weiterwandern.


Donnerstag, 08.12.2011

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