Timothy Simpson - kultur Nr. 27 - Mai 2006

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Timothy Simpson - Bonns Hoffmann und Alfredo und das Leben mit doppelter Geschwindigkeit

Er hat so eine lässig gespannte Offenheit und Herzlichkeit, dass man auch ohne seinen charmanten amerikanischen Akzent sofort seine Herkunft aus den USA ahnt. Man könnte sich ihn auch sehr gut auf dem Tennisplatz oder beim Joggen vorstellen. „Beim Bonn-Marathon am letzten Sonntag habe ich aber nur begeistert zugeschaut und fand es toll, wie friedlich dieses Großereignis ablief. Dass ich hier in Turnschuhen auftauche, hat nur was damit zu tun, dass ich mir eben zufällig einen Zeh verstaucht und deshalb meine bequemsten Treter angezogen habe.“ Timothy Simpson lacht und nimmt einen kräftigen Zug aus seiner Cola-Flasche. „Jeder Opernsänger hat immer ein bisschen Angst vor Verletzungen oder Krankheiten, die für andere völlig harmlos erscheinen. Die Stimme braucht ja den ganzen Körper bis in die Zehenspitzen.“
Zum Beispiel in der Titelrolle von Offenbachs Les Contes d'Hoffmann (Aufsehen erregende Regie: Philipp Himmelmann), mit der der amerikanische Tenor 2004 die Herzen des Bonner Publikums im Sturm eroberte (s. kultur 5). Im Bonner Opernhaus zum ersten Mal aufgetreten ist er schon im Herbst 2002 bei der Wiederaufnahme von Carmen. Bizets Oper war für ihn ohnehin die erste große Musiktheateraufführung, noch als Student und nicht als Don José, sondern als Schmuggler Remendado. Dass er mal ein international gefragter Tenor würde, hat er damals noch nicht geahnt, sondern mehr aus Spaß gesungen. Das musikalische Interesse des in Bowling Green/Kentucky geborenen Sängers gehörte auf der High School sowieso erst mal dem
Rock'n Roll. „Rockstar wollte ich aber trotzdem nicht werden, sondern habe mich - eigentlich ziemlich spät - für die klassische Musik entschieden und ganz solide mit Klavier- und Orgelunterricht angefangen. Im Kirchenchor ist dann der Chorleiter, der selbst ein Tenor war, auf mich aufmerksam geworden und hat mich dazu animiert, Gesangsunterricht zu nehmen.“ Das hat er fortgesetzt an der Western Kentucky University. Timothy hat dort einen Abschluss in Musikerziehung gemacht. „Das war sehr nützlich, weil ich viele Instrumente lernen musste und mich auch intensiv mit musiktheoretischer und musikgeschichtlicher Literatur beschäftigt habe, was ich immer noch gern tue. Aber vor allem haben wir gemeinsam jedes Jahr eine Oper oder ein Oratorium einstudiert. Zuerst war das Carmen, zwei Jahre später Gounods Faust, bei dem ich schon die Titelrolle singen durfte.“
Der Gesang wurde bei seiner weiteren Ausbildung an der renommierten Eastman School of Music in Rochester/NY seine endgültige Domäne. Von dem Sommerfestival in Chautauqua im Bundesstaat New York (vom Big Apple etwa so weit weg wie Neapel von Helsinki), wo er so richtig ins Kulturleben eintauchte, schwärmt er immer noch: „Die Atmosphäre mit einem riesigen Campus am See ist einfach klasse. Anfangs gab es nur Zelte, dann wurden Holzhäuser gebaut, dann wurde es immer mehr zu einem wunderbaren internationalen Treffpunkt für die unterschiedlichsten Künstler und Denker.“ Timothy hat dort viele Kontakte geknüpft und sich daraufhin für eine Fortsetzung seiner Karriere in Europa entschieden. Deutsch hatte er schon ein Jahr lang an der Universität gelernt und es am Kentucky Institute of European Studies in Bregenz perfektioniert. In Zürich hat er weitere Erfahrungen gesammelt als Erster Geharnischter in der Zauberflöte (Regie: Jean-Pierre Ponnelle) und als einer der Lakaien im Rosenkavalier (Regie: Michael Hampe).
Sein erstes festes Engagement erhielt er in Bremerhaven, wo er drei Jahre lang blieb. „Das war ziemlich anstrengend, weil wir dort nur auf Deutsch gesungen haben.“ Fünf Jahre als festes Ensemblemitglied in Osnabrück folgten, wo er sich zahlreiche neue Rollen erarbeitete. Weitere Stationen waren Karlsruhe, Gelsenkirchen/Wuppertal und ab der Spielzeit 2002/03 Bonn. Zwischendurch gab es zahlreiche Gastauftritte wie z.B. bei den Eutiner Festspielen, beim Rossini-Festival Puttbus oder als Bettelstudent am Festspielhaus Baden-Baden. „Operetten machen spielerisch einen Riesenspaß, sind aber immer Stress, weil man so viel Sprechtext hat.“ Wie gut er auch das beherrscht, hat er in Bonn als ungarischer Erbprinz in Kálmáns Die Herzogin von Chicago bewiesen. Polyglott ist er ohnehin. Im kommenden Juli plant er an der Vlaamse Opera Antwerpen, wo er bereits bei der Uraufführung von Giorgio Battistellis Richard III. mitgewirkt hat, Zoltán Kodálys berühmten Psalmus Hungaricus für Tenor-Solo, Chor und Orchester. „Der Titel ist zwar lateinisch, aber gesungen wird auf Ungarisch. Glücklicherweise hilft mir da mein Kollege Donát Havár bei der Aussprache.“ Musik des 20. und 21. Jahrhunderts singt er gern, zumal einige moderne amerikanische Komponisten zu seinen Freunden zählen, obwohl er einiges manchmal für hyperintellektualisiert hält. Das betrifft ganz bestimmt nicht Hindemiths Oper Cardillac, in der er in dieser Spielzeit in Klaus Weises Inszenierung hinreißend den Offizier singt (s. kultur 26). Liederabende stellt er sich gern selbst quer durch die Musikgeschichte unter thematischen Gesichtspunkten ("Frühlingsgefühle", "Traum durch die Dämmerung") zusammen.
In Bonn hat er u.a. den Eric in Wagners Fliegendem Holländer gesungen, den Macduff in Verdis Macbeth, den Gabriele Adorno in Verdis Simon Boccanegra und ist zur Zeit als Alfredo in Verdis La Traviata (Regie: Andreas Homoki) zu erleben, einem der Highlights dieser Saison (s. kultur 25).
In der letzten Spielzeit hat er wegen seiner vielen Verpflichtungen an anderen Häusern als freier Sänger gearbeitet; in dieser Spielzeit gehört er wieder fest zum Bonner Ensemble. Leider nicht mehr lange, weil er gern mal wieder in seiner Heimat singen möchte. Und ganz nebenbei natürlich auch, weil seine Frau Amy Duran als Pianistin und Dirigentin in New York lebt. Am Keyboard und als musikalische Leiterin betreut sie dort seit Jahren am Broadway den Musical-Dauerbrenner Beauty And The Beast und hat manchmal fünf Vorstellungen an drei Tagen. „Wann immer ich Zeit habe, fliege ich deshalb nach New York, obwohl ich Bonn eine ‚Superstadt' finde: Wegen des interessierten Publikums und der vielen kulturellen ‚Perlen', die hier gepflegt werden. Theaterkunst ist ja etwas merkwürdig Flüchtiges, entwickelt aber dauerhaft das menschliche Wesen - so wie die Muscheln, in denen ganz langsam etwas Kostbares entsteht. Trotzdem ist für mich jede Vorstellung immer noch so etwas wie ein Elektroschock. Man muss den ganzen Tag lang seine Energie einteilen, um am Abend quasi auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Auf der Opernbühne verläuft das Leben - allein schon durch die Musik - plötzlich mit mindestens doppelter Geschwindigkeit.“
Gibt es Lieblingsrollen? Ja, alles von Verdi und ganz besonders den Nemorino in Donizettis L'elisir d'amore. Timothy verspricht, bei dessen Arie Una furtiva lacrima überall in der Welt immer auch an seine Bonner Zeit zu denken.

Dienstag, 25.02.2014

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