Robin Engelen - kultur 77 - Juni 2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Robin Engelen: Carmen, Wildschütz und La Sonnambula

Robin Engelen kommt gerade vom Bahnhof. Am Morgen ist er von Antwerpen aufgebrochen nach Bonn, wo er an diesem Abend Lortzings Wildschütz dirigieren wird, der vor knapp einer Woche unter seiner musikalischen Leitung seine umjubelte Premiere feierte (s. Kritik S.3). „Die Arbeit an diesem seit Jahrzehnten etwas stiefmütterlich behandelten Werk hat mir großen Spaß gemacht. Vor allem die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dietrich Hilsdorf war eine Wonne. Er denkt sehr präzis mit der Musik und macht Dinge sichtbar, die musikalisch klar artikuliert sind, aber nicht einfach sagbar. Es gibt bei ihm überhaupt keine Divergenzen zwischen Musik und szenischen Abläufen. Er hat sehr intensiv mit dem ganzen Ensemble gearbeitet und die Rollen genau auf die einzelnen Sängerpersönlichkeiten abgestimmt. Dass er die Geschichte ernster nimmt als üblich, halte ich für eine besondere Qualität.“ Engelen freut sich schon auf die nächste Zusammenarbeit mit Hilsdorf bei Verdis Il Trovatore, der im März 2012 Premiere haben wird. Auf seinem Programm für die kommende Saison steht auch wieder eine deutsche Spieloper: Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor.
Nach Antwerpen muss Engelen sehr schnell wieder zurück, denn dort laufen die Endproben für die Oper Blonde Eckbert der schottischen Komponistin Judith Weir (ihre Jugendoper Die schwarze Spinne war 2010 im Bonner Alten Malersaal zu erleben). Am 21.Mai ist Premiere im Rahmen des Festivals „Muziektheater Transparant Antwerpen“. „Das Werk nach der romantischen Erzählung von Ludwig Tieck wurde 1994 uraufgeführt; wir planen eine ästhetisch sehr spannende Neuinterpretation, die danach auch bei den Operntagen in Rotterdam gas­tiert und im Sommer bei den koproduzierenden Bregenzer Festspielen auf dem Programm steht.“ Auf seinen Auftritt bei dem berühmten Festival am Bodensee freut sich Engelen natürlich besonders.
In Belgien arbeitet er regelmäßig, seit ihn das Brüsseler Ensemble „Het Collectief“ vor zehn Jahren zu seinem Ersten Gastdirigenten berief. „Belgien hat eine ungemein lebendige Musik- und Tanzszene und ist sehr aufgeschlossen für zeitgenössisches Musiktheater.“ Engelen hat mittlerweile in fast allen Städten Flanderns große und kleinere Konzerte mit diversen Formationen und Schwerpunkten dirigiert.
Geboren wurde er 1974 in Köln, wuchs in Siegen auf, gewann 1993 den Ersten Preis beim Wettbewerb „Jugend komponiert“ NRW und studierte von 1994 bis 2002 Dirigieren bei Günter Wand und bei Wolf-Dieter Hauschild an der Musikhochschule Karlsruhe, wo er 2000 seine Ausbildung mit Auszeichnung abschloss. 1999 war er Stipendiat des Richard-Wagner-Verbandes. Von 1993 bis 2003 leitete er das von ihm mitgegründete „Ensemble Klangwerk“, veranstaltete mit hoch begabten Studenten ungewöhnliche Programme und trifft regelmäßig in fast allen renommierten Orchestern ehemalige Kommilitonen wieder. Seit 2002 arbeitet er regelmäßig mit der Internationalen Bachakademie Stuttgart, seit 2005 ist er musikalischer Assistent von deren künstlerischem Leiter Helmuth Rilling.
Zur Musik kam er als Kind eher zufällig, als ein altes klappriges Piano im elterlichen Haus abgestellt wurde: „Das Ding hat mich so fasziniert, dass ich kaum noch davon wegzubringen war. An der Siegener Musikschule gab es ein tolles Jugendorchester und Lehrer, die uns regelrecht mit neuer Musik infizierten.“ Engelen spielte vor allem Klavier. Als Pianist und Liedbegleiter ist er immer noch tätig; an der Yale University leitete er kürzlich z.B. eine Meisterklasse zum „Deutschen Lied“ mit dem Schwerpunkt Wiener Klassik.
Fürs Dirigieren entschied er sich, „weil man da über das einzelne Instrument hinaus das Ganze gestalten kann. Als Dirigent habe ich erst mal nur Papier mit schwarzen Linien und abstrakten Zeichen, die ich in lebendige Ereignisse übersetzen muss, um im glücklichsten Fall damit eine neue Wirklichkeit zu öffnen. Ich habe einen Riesenrespekt vor den Instrumentalisten, die die Töne ja produzieren, und vor der Selbstverständlichkeit, mit der sich eine gemeinsame Richtung entwickelt. Wenn dann eine überzeugende Klangwelt entsteht, ist das eine unglaubliche Freude für alle Beteiligten – und hoffentlich auch für das Publikum.“
Seit dieser Spielzeit ist Engelen Erster Kapellmeister am Theater Bonn und Stellvertreter des Generalmusikdirektors. In letzterer Funktion ist er jedoch nur für die Oper zuständig, nicht für die Konzerte des eigenständigen Beethoven Orchesters Bonn. „Die Arbeitsabläufe beim Musiktheater sind völlig anders als bei einem Sinfoniekonzert, für das man eine Woche lang konzentriert probt, um ein musikalisch möglichst perfektes Ergebnis abzuliefern. In der Oper hat man es stets mit einer Menge außermusikalischer Einflüsse zu tun. Man muss sich auf wechselnde Raum-Klang-Situationen einstellen, vom Orchestergraben aus mit den Sängern mitgehen, die Musik mit dem Regiekonzept abstimmen. Vor der künstlerischen Einheit des Ganzen liegt ein langer diskursiver Prozess.“ Aktuell geht es um Bellinis La Sonnambula, die am 3.Juli in Bonn Premiere hat. Die Wiederaufnahme von Klaus Weises erfolgreicher Don Giovanni-Inszenierung dirigierte er im Frühjahr.
Sein Bonner Operndebüt gab Engelen im Dezember mit der intelligenten neuen Carmen-Interpretation von Florian Lutz; im September hatte er bereits die Uraufführung der Tanzproduktion Fidelio des Atlantic Ballett Theatre of Canada im Bonner Opernhaus musikalisch geleitet und kurz zuvor auf dem Münsterplatz das Saisoneröffnungskonzert des BOB unter dem Motto „In 80 Minuten um die Welt“. Viel unterwegs ist er tatsächlich und schätzt die Erfahrungen in anderen Ländern.
1999 wurde er Solorepetitor, 2003 Kapellmeister und 2004 Assistent von GMD Lothar Zagrosek am Staatstheater Stuttgart. Er leitete dort zahlreiche Produktionen, u. a. Busonis Doktor Faust, der von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur Aufführung des Jahres 2005 gekürt wurde. Im selben Jahr dirigierte er das „Tokyo Philharmonic Orchestra“ bei der Eröffnungsfeier des deutsch-japanischen Jahres in Tokio.
Von 2006 bis zu seinem Engagement in Bonn arbeitete er frei, ging mit dem Stuttgarter Kammerorchester auf Tourneen durch Korea, Italien und die Türkei, gab 2007 sein USA-Debüt beim „Oregon Bach Festival“, wo er auch als Pianist eines Jazz-Trios auftrat, und spielte in Argentinien und in der Stuttgarter Liederhalle Tangos mit dem renommierten „Sestetto mayor“. 2009 leitete er im russischen Wladiwostok die erste Aufführung von Mozarts Zauberflöte in dieser Region und debütierte an der Berliner Komischen Oper ebenfalls mit der Zauberflöte. Am 18. März 2011 dirigierte er im eisigen Jakutsk Mozarts Requiem. „Das war wenige Tage nach der Erdbebenka­tastrophe im gar nicht weit entfernten Japan sehr berührend.“
Zu seinen schönsten Erlebnissen zählt er einen Meis­terkurs zu Bachs Weihnachtsoratorium in den USA. Eine seiner Studentinnen sagte ihm, dass sie die deutsche Sprache liebe, weil sie trotz aller geschichtlichen Brüche in ihrer Poesie einen hohen moralischen Standard verkörpere. „Überall erlebe ich, wie hoch die deutsche Kultur geschätzt wird. Deshalb finde ich die ganzen Spardiskussionen hier schlicht unsäglich. Kunst ist kein Luxus, sondern tägliche Nahrung. In Russland gilt Musik als unantastbare Sprache, denn sie kann nicht lügen. Toll an Bonn ist, dass die Kultur hier sehr stark im Bürgertum verankert ist und dass die Menschen immer wieder deutlich machen, wie lebenswichtig ihnen die Musik ist.“

Donnerstag, 19.01.2012

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