Philine Bührer - kultur 69 - Oktober 2010

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Philine Bührer: Tosca, Desdemona und Antigone

Genau einen Tag vor der Antigone-Premiere am 17. September vollendet Philine Bührer ihr 26. Lebensjahr. Philine spielt die Titelrolle in Sophokles’ Tragödie und kommt gerade von einer Probe in der Halle Beuel. Völlig entspannt, weil die Arbeit gut voranschreitet. „In der sehr genauen Übersetzung von Walter Jens entwickeln wir viel über die Sprache und den Chor, der die gemeinsame Basis für die individuellen Figuren ist. Ich finde es faszinierend, wie Antigone aus einem inneren Gefühl heraus ganz genau weiß, was richtig ist und was sie verteidigen will. Sie handelt mit einer ungeheuren Sicherheit, weil sie komplett hinter ihren Zielen steht. Sie ist keine Terroristin und keine Wahnsinnige, sondern jemand, für den fraglos klar ist: Ich muss das machen, egal was es kostet.“
Gewiss steckt in solchen Sätzen auch eine Menge von Philine selbst. Sie hat nie daran gezweifelt, dass sie Schauspielerin werden würde, seitdem sie zum ersten Mal auf der Bühne stand. Geboren wurde sie in Hamburg, aufgewachsen ist sie in München. Mit acht Jahren besuchte sie mit ihrer Mutter eine Märchenaufführung im „Münchner Theater für Kinder“. Ein Jahr später spielte sie selbst in diesem Theater die Anneliese in Peterchens Mondfahrt und war Sprecherin beim Bayerischen Rundfunk. Bis 1999 wirkte sie in vielen Hörspielen dieses Senders mit.
Während der Schulzeit am Münchner Pestalozzi-Gymnasium wurde sie geradezu theatersüchtig und spielte von 1997 bis zum Abitur 2003 in den Jugendclubs der Kammerspiele und des Prinzregententheaters. „Seit ich 15 war habe ich so gut wie alles an den Münchner Kammerspielen und am Bayerischen Staatsschauspiel gesehen und bin fast jeden Abend ins Theater gerannt. Entscheidend geprägt hat mich Frank Baumbauer, der 2001 die Intendanz der Münchner Kammerspiele übernahm. Das war modernes Theater, wie ich es unbedingt machen wollte.“ Selbstverständlich war sie auch Mitglied der Theatergruppe an ihrem musisch ausgerichteten Gymnasium und spielte Cello im Schulorchester. Besonders wichtig für ihre Entwicklung war die Produktion Chew-Z nach dem Science-Fiction-Roman The Three Stigmata of Palmer Eldritch des Amerikaners Philip K. Dick. „Es war hochinteressant, aus einem Erzähltext Bühnenfiguren zu entwickeln. Regie führte übrigens Christian Friedel, der mittlerweile sehr bekannt geworden ist durch die Hauptrolle des Lehrers in dem Film ‚Das weiße Band’. Unsere Aufführung an den Münchner Kammerspielen wurde 2004 nach Dortmund zum Bundestreffen der Jugendclubs an Theatern eingeladen. Ganz viele aus unserer Gruppe sind professionelle Schauspieler geworden und haben immer noch regelmäßig miteinander Kontakt.“
Nach dem Abitur sprach Philine an mehreren Schauspielschulen vor und entschied sich für die Folkwanghochschule Essen, wo sie 2008 ihr Studium abschloss. Ihr erstes festes Engagement erhielt sie sofort danach am Theater Bonn. Seit Beginn der Saison 2008/09 gehört sie hier zum Schauspiel-Ensemble. Vorgestellt hat sie sich dem Bonner Publikum als Gast schon im Frühjahr 2008 als Marie Beaumarchais in Goethes Clavigo. Die Aufführung stand wegen kurzfristiger Umbesetzungen und einem Regiewechsel (Stefan Otteni sprang für ein Inszenierungskonzept ein, das nicht seins war) unter einem etwas unglück­lichen Stern.
Mit Otteni hat Philine danach wieder zusammengearbeitet bei der musikalisch-theatralischen Aufführung von Tosca in der Halle Beuel. Philine spielte die Diva Tosca in Victorien Sardous Drama, das Puccini als Vorlage für seine berühmte Oper diente. Eine selbstbewusste junge Künstlerin, mädchenhaft kapriziös und unverschämt energisch, leidenschaftlich unangepasst und vollkommen naiv. Eine Personenstudie, die ebenso im Gedächtnis bleibt, wie ihre Desdemona in Ottenis Othello-Inszenierung. Ein wohlerzogenes, neugieriges Mädchen auf der Suche nach dem erotischen Geheimnis des schwarzen Mannes, dem sie trotzig folgt und an seiner Seite erwachsen wird. Ein wenig eitel zwar als weiße Frau im goldenen Käfig des ruhmreichen Helden, aber absolut klar in ihrer Entscheidung. Ihre Desdemona will keinen Ausweg, auch wenn der gerade Weg tödlich ist.
„Es ist schon toll, dass ich als Anfängerin gleich so große Rollen spielen durfte“, freut sich Philine. „Bei ‚Zwei Welten’ wollte ich übrigens unbedingt mitmachen, weil ich es wichtig finde, dass sich Theater mit der Situation vor Ort beschäftigt und direkt in der Stadt verankert. Außerdem war es spannend, aus den Textflächen der Original-Interviews Szenen herauszufiltern und ganz unterschiedliche Figuren zu verkörpern. Dass wir mit dieser Produktion viele Leute erreicht und kontroverse Diskussionen angestoßen haben, hat mich unheimlich gefreut.“ Mit Zwei Welten war sie auch zu Gast beim diesjährigen NRW-Theatertreffen in Düsseldorf.
Die erste Einladung hat nicht geklappt. Das war 2005 während ihrer Studienzeit mit der Essener Uraufführung von Lutz Hübners Ehrensache. Es gab einen Prozess, der mit dem politischen Gehalt des Stückes nur peripher zu tun hatte und den das Theater schließlich gewann. Die meisten Vorstellungen fanden statt, das Gastspiel beim NRW-Theatertreffen wurde allerdings gerichtlich untersagt. Schade, aber:
„In Essen hat Schauspielintendant Anselm Weber die Zusammenarbeit mit der Folkwanghochschule reaktiviert und uns eine Menge Erfahrungen ermöglicht.“
Dazu gehörte 2008 Ibsens Hedda Gabler (in Bonn demnächst in einer Inszenierung von Generalintendant Klaus Weise zu sehen), als Regie-Diplomarbeit inszeniert von Philines Kommilitonin Franziska Marie Gramss, die jetzt in der Werkstatt ihr Bonner Debüt mit Lessings Nathan der Weise gibt. Philine spielte eine Hedda, die in einer Bühnenvertiefung ihre ganze Geschichte unbeweglich übers eigene Auge erfindet. Weitere große Rollen in der Folkwanghochschul-Produktion, die wegen ihres Erfolges am Essener Schauspiel gastieren durfte, spielten Anastasia Gubareva (inzwischen ebenfalls Mitglied im Bonner Ensemble) und Simin Soraya (Gast in Zwei Welten). In den Bonner Kammerspielen war Philine 2009/10 die junge Klavierspielerin Frida in Ibsens John Gabriel Borkman.
Das chorische Sprechen hat Philine schon erprobt in Aischylos’ Orestie (Regie: Lars Ole Walburg) 2007 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Antigone ist ihre zweite Auseinandersetzung mit den griechischen Wurzeln des Dramas. Und ihre zweite Arbeit mit dem Regisseur Jan Stephan Schmieding, in dessen Werkstatt-Inszenierung von Fritz Katers Heaven sie die Simone (mit Wagners Isolde im Hintergrund) spielte. Als Putzi ist sie in Wer hat Angst vor Virginia Woolf…? eingesprungen – „Eine wichtige Erfahrung, in einer stabilen Inszenierung nichts neu zu gestalten, sondern sich mit Hilfe der Kollegen schnell in ein Konzept zu fügen“. Für ihre Paige in Blick auf den Hafen (Regie: Klaus Weise) wurde sie mit einer Nominierung als beste Nachwuchsschauspielerin in NRW belohnt.
Theater erlebt Philine als „einen Ort großer Freiheit. Es ist gleichzeitig bildhaft und abstrakt. Weil man viel mit Materialien arbeitet, ist es ‚dreck­iger’ als Kino und hinterlässt tiefere Spuren. Außerdem ist es aufregend, ganz konkret zu sehen, wie ein Stoff nach fast zweieinhalb Jahrtausenden immer noch viel Neues sagt. Zumal man ständig neu anfängt und selbst nach der letzten Vorstellung eines Stückes nie wirklich damit fertig ist.“
Dem Radio ist Philine dennoch treu geblieben und arbeitet, wenn die Theaterarbeit es zulässt, als Nachrichtensprecherin bei „Deutschlandradio Wissen“. „Ich genieße es, neben dem Theater in eine journalistische Welt mit knallharten Fakten einzutauchen.“ Dem Kindertheater ist sie auch treu geblieben. In Erich Kästners Pünktchen und Anton, in den Kammerspielen inszeniert von Zwei Welten-Regisseur Frank Heuel, wird sie das Pünktchen sein, worauf sie sich ebenso freut wie jetzt erst mal auf die Antigone.

Dienstag, 25.02.2014

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