Nina Vodop’yanova - kultur 45 - 3/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Nina Vodop’yanova - Brunhild, Meerhexe und Meggy

Das orthographische Rätsel ihres Namens ist schnell geklärt. Im Ukrainischen wird das russische Erweichungszeichen „?“ durch ein Apostroph ersetzt. Nina Vodop’yanovas verstorbener Vater war Russe, ihre Mutter ist Ukrainerin. Geboren wurde Nina 1974 in Zwetnoe in der südlichen Ukraine und wuchs zweisprachig auf. Eigentlich sogar dreisprachig, denn neben Russisch und Ukrainisch spricht sie auch den südukrainischen Dialekt ihrer Heimat. Die Theaterferien verbringt sie regelmäßig bei ihrer Familie in Osteuropa.
Musikalisch vorbelastet war sie von Seiten ihres Vaters, denn dessen Großvater sang in einem Männerchor, der wie die Donkosaken Volkslieder präsentierte. Aber auch ihre Mutter war Mitglied in einem Chor. „In der ehemaligen UdSSR gehörten kulturelle Aktivitäten zum ganz normalen Alltag.“ Noch während der Kindergartenzeit hatte Nina ihren ersten Auftritt im örtlichen Kulturpalast – mit einer Rezitation von Lenin-Gedichten. Sie lernte Klavier und Bajan, eine russische Form des Akkordeons, spielte in der Theatergruppe ihrer Schule, tanzte und sang. „Mir gefiel das sehr, und eigentlich war ich schon mit neun Jahren fest entschlossen, Schauspielerin zu werden.“ Das Ende der UdSSR 1989 erlebte die gerade 15-jährige als schlimmen Schock. „In diesem Alter fängt man an, sich geistig und politisch zu orientieren. Es war eine tiefe Enttäuschung, all das, was das System vorgelebt hatte, als große Lüge zu erfahren.“ Etwas von ihrer eigenen Geschichte hat Nina 2004 in der Produktion Kalter Krieg in der Bonner Werkstatt-Reihe „Reality Bit(e)s“ erzählt.
Nach dem Abitur sprach Nina vergeblich an mehreren Schauspielschulen vor, machte dann ein Jahr lang eine pädagogische Ausbildung und versuchte es erneut. Diesmal mit Erfolg: Mit 18 Jahren wurde sie an der Theaterschule von Saporoshje angenommen und schloss ihr Studium nach vier Jahren mit dem Diplom ab. „Musik, Schauspiel und Tanz waren dort sehr eng verbunden. Man musste in allem gleich gut sein. Vor allem bekamen wir schon früh die Gelegenheit, professionelle Bühnenerfahrungen zu sammeln. Mein wichtigster Lehrer war auch Leiter des Kinder- und Jugendtheaters von Saporoshje und ließ uns dort in kleinen Rollen auftreten.“
Saporoshje ist Partnerstadt von Oberhausen. Eine Delegation aus der Ruhrgebietsstadt sah 1994 ein selbst verfasstes clowneskes Programm der Ukrainer Studenten und lud sie im Rahmen des Jugendkulturaustauschs zu einem Gastspiel in Oberhausen ein. 1995 besuchte eine Gruppe vom Oberhausener Thea­ter – Ninas heutiger Kollege Rolf Mautz war dabei – Saporoshje. Nina spielte auf Russisch die Titelrolle in Lorcas Yerma. Auch diese Produktion reiste nach Oberhausen. Nina wurde für ein dreimonatiges Praktikum am dortigen Theater ausgewählt, das sie kurz nach ihrem Abschlussexamen antrat. Ihr inzwischen makelloses Deutsch hatte sich die junge Schauspielerin zu Hause weitgehend im Selbststudium beigebracht. Auf das Praktikum folgte ein Gastvertrag für ein Kinderstück in Oberhausen. In Das Rätsel der gestohlenen Stimmen von Alan Ayckbourn spielte Nina ihre erste Rolle auf Deutsch. Als der Schauspielintendant Klaus Weise sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, auch länger in Deutschland zu arbeiten, sagte sie zu, wurde 1998 Ensemblemitglied am Oberhausener Theater und ist seit 2003 am Theater Bonn engagiert.
Kinderstücke hat sie in Oberhausen weiterhin gern gespielt, z.B. die böse Hexe in dem Musical Der Zauberer von Oz. In Bonn ist sie in dieser Spielzeit in der Kleinen Meerjungfrau als Meerhexe Ursula zu sehen. „Ihre erste Szene ist toll gebaut. Das Spiel mit den wüsten Krakenarmen macht mir richtig Spaß. Die Kinder identifizieren sich mit der Meerjungfrau und begreifen sofort, dass nur die Hexe ihr zu ihrem Glück verhelfen kann. Und selbst Ursula geht ja am Ende nicht leer aus.“
Zu ihren wichtigen Erfahrungen in Oberhausen gehörten u. a. die Titelrolle in Sophokles’ Antigone, die Mascha in Tschechows Drei Schwestern, die Franziska in Lessings Minna von Barnhelm und die Titania in Shakespeares Sommernachtstraum. Außerdem spielte sie erfolgreich zwei Solos: Wie ein Theaterstück entsteht von Karel ?apek und Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun.
In Bonn vorgestellt hat sie sich als Jane in der Uraufführung von Christoph Roos’ Bearbeitung des Stummfilmklassikers Caligari. In den Kammerspielen war sie die Schäferin Mopsa in Weises Inszenierung von Shakespeares Winter-Mährchen. Unter der Regie von Lore Stefanek spielte sie in der Halle Beuel die Flüchtlingsfrau in Martin Sperrs Jagdszenen aus Niederbayern. Dass ihre erste große Rolle in der Werkstatt Nina hieß, ist ein Zufall. Der junge Regisseur Ingo Berk brachte dort die deutschsprachige Erstaufführung von Arlette Namiands Tintenaugen heraus. Nina war die seltsam verstörte, hellsichtige Begleiterin der blinden Mathilde. Mit Ingo Berk probt sie gerade Botho Strauss’ Groß und klein (Premiere am 15. Februar). Sie spielt Inge und Meggy, zwei der Frauen, die Lotte auf ihrer Wanderung durchs Dickicht der Städte begegnen. Es ist ihre vierte Zusammenarbeit mit Berk: In Sophokles’ Trachinierinnen war sie die schutzlos stumme, von Herakles in die Fremde entführte Königstochter Iole, in Kleists düsterer Familie Schroffenstein die sehr lebendige Totengräbertochter Barnabe.
In Klaus Weises Doppelprojekt Phädra und Würgeengel spielte sie in Racines Tragödie die Panope und in Woudstras Familienka­tastrophe das russische Nobel-Callgirl Masja. Eindrucksvoll war auch ihre knallharte Brunhild in Helmut Kraussers Nibelungenparodie Unser Lied. Als lispelndes Klärchen stand sie im Weißen Rössl auf der Opernbühne, als singende Schauspielerin mochte sie besonders den Hanns-Eisler-Abend in der Werkstatt.
Nina Vodop’yanova probiert gern neue Stücke und Spielweisen aus. Deshalb hat ihr die merkwürdige Polarforscherin Kim in Schneemann von Greg Macarthur gefallen, besonders jedoch ihre feuerrot schillernde Figur in dem filigranen Seelenmärchen Peepshow der Kanadierin Marie Brassard. „In der Inszenierung von Schirin Khodadadian war es wie beim Improvisieren am Klavier. Die rechte Hand spielt ein Thema; dann versucht die linke Hand, etwas Adäquates, aber trotzdem Eigenständiges zu erfinden.“
Eine Frage beschäftigt Nina dennoch seit längerem: „Wie interessant kann es sein, einen ‚guten Menschen’ darzustellen. Nicht blutleer oder moralistisch. Auf der Bühne gibt es fast nur gebrochene, leidende Frauen. Im Kino sieht man öfter Szenen, wo einen Moment lang menschliche Größe aufscheint. Ich meine keine strahlenden Siegertypen, sondern einfach jemanden, der ein Vorbild sein könnte und kraftvoll eine eigene Wahrhaftigkeit verkörpert, ein Ideal ohne falsches Pathos.“

Donnerstag, 08.12.2011

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