Nico Link - kultur 78 - Juli 2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Nico Link: Gabriel, Alfred und Alwa

Die Proben für die erste große Schauspielpremiere in der kommenden Spielzeit haben gerade begonnen. In Ibsens Volksfeind spielt Nico Link den Zeitungsredakteur Billing. „Proben gehören zum Spannendsten am Schauspielerberuf“, erklärt er. „Man beschäftigt sich fast zwei Monate lang intensiv mit einem Stoff und den Figuren und kann gemeinsam etwas entstehen lassen. Im besten Fall kann man aus der Probenzeit viele Einsichten für sich mitnehmen. Aber natürlich geht es am Ende um die Vorstellungen und darum, dass die Zuschauer genau das erleben, was wir erarbeitet haben.“
Derzeit spielt er in den Kammerspielen den Alwa Schöning in Wedekinds Lulu, der diese Kindfrau und Mörderin seines Vaters bei ihrem Abstieg bis zum erbärmlichen Ende begleitet. „Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit, auch wenn das Ergebnis nicht allen gefällt. Ich mag es, wenn ein Regisseur bei den Proben genau weiß, was er will.“ Nicos Lieblingsrolle in dieser Spielzeit war ganz klar der junge Gabriel in der deutschsprachigen Erstaufführung von Andrew Bovells Das Ende des Regens in der Halle Beuel. „Das ist ein tolles, vielschichtiges Stück, das mich sehr berührt hat. Ich habe mich jedes Mal richtig auf die Vorstellungen gefreut. Schade, dass es bald abgespielt ist.“ Ebenfalls in der Regie von Generalintendant Klaus Weise spielte er überzeugend den Alfred in Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald: Ein eigentlich ganz anständiger Kerl, der mit großen Gefühlen und der Verantwortung für andere einfach überfordert ist und sich lieber aushalten lässt oder mit windigen Geschäften aus allen Affären zieht.
Außerdem war er zu sehen als Haimon in Sophokles’ Antigone. Die Produktion in der Halle Beuel lief sehr erfolgreich von September 2010 bis Juni 2011. Mit dem Regisseur Jan Stephan Schmieding hatte er schon in seiner ersten Bonner Spielzeit zusammengearbeitet bei dem Stück Heaven (zu tristan) von Fritz Kater in der Werkstatt. Nico spielte den unerschütterlichen Optimisten Robert, der nach dem Untergang der DDR überall neue Chancen sah und sich außerdem rührend um die liebeskranke Simone/Isolde kümmerte. Die Geschichte hat ihn auch ganz persönlich fasziniert.
Nico Link wurde 1976 im vogtländischen Plauen geboren, einem kleinen Ort ganz im Süden der ehemaligen DDR. Das dortige Theater war quasi sein zweites Zuhause: Seine Mutter arbeitete hier als Mas­kenbildnerin, sein Stiefvater als Bühnentechniker. Nico wirkte in der Statisterie und beim Extrachor mit, machte Garderobendienst und Einlass. „Allerdings nur, um mein Taschengeld aufzubessern, an Schauspielen als Beruf habe ich damals nie gedacht. Vielleicht hat der frühe Einblick in den Theateralltag aber dazu beigetragen, dass ich mich relativ illusionslos für das Schauspielstudium entschied.“
Zunächst hatte er weder Lust auf ein Studium noch auf Schule. Während der 11. Klasse brach er kurzerhand das Gymnasium ab, holte den Realschulabschluss nach und machte eine dreijährige Lehre als Offsetdrucker. Diesen Beruf übte er danach noch ein Jahr lang aus, begann aber daran zu zweifeln, ob er das für den Rest seines Lebens tun wollte. Eine künstlerische Tätigkeit schien ihm sinnvoller, das Theater war ihm vertraut. Er bewarb sich also an Schauspielschulen und erhielt einen Studienplatz an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam, wo er 2001 seine Schauspielausbildung abschloss. Im letzten Studienjahr debütierte er am Theater Potsdam als Gymnasiast Ernst Röbel in Wedekinds Frühlings Erwachen. Danach arbeitete er ein Jahr lang frei in verschiedenen Fernsehserien und beim Film. Er spielte eine Hauptrolle in dem Kurzfilm Frühstück (Teil einer Tetralogie unter dem Titel Erstes Mal) an der Seite von Anna Thalbach und lernte bei Dreharbeiten auf Kuba seine Frau kennen, eine kubanische Schauspielerin. „Es war eine Art Roadmovie und eine Liebesgeschichte, bei der es halt zwischen uns auch privat gefunkt hat. Der Film lief recht erfolgreich in kubanischen Kinos, kam aber leider nicht nach Deutschland.“ Nicos Gattin kellnert in der Brotfabrik-Kneipe und jobbt in einer Kölner Zigarrenmanufaktur – „entspricht voll dem hispanischen Klischee, obwohl sie das Handwerk erst hier in Deutschland gelernt hat.“
Sein erstes festes Engagement erhielt Nico Link 2002 am Essener Grillo-Theater unter der Intendanz von Jürgen Bosse. Der Tom in Williams’ Glasmenagerie war dort eine seiner Lieblingsrollen. In Essen lernte er den Regisseur Volker Schmalöer kennen, der 2004 Oberspielleiter am Staatstheater Kassel wurde. Fünf Jahre lang gehörte Nico zum dortigen Ensemble, spielte u. a. den Tempelherrn in Lessings Nathan der Weise, den Karl Moor in Schillers Die Räuber, den Posa in Don Karlos, den Tybalt in Shakespeares Romeo und Julia und schließlich die Titelrolle in Hamlet in der Regie von Martin Schulze. 2009 erhielt Nico den Publikumspreis der Stadt Kassel und ein Stipendium für das „Internationale Forum“ beim Berliner Theatertreffen. „Die zwei Seminarwochen mit jungen Theaterleuten aus aller Welt waren eine tolle Erfahrung. Für mich auch eine Art Abschiedsgeschenk des Kasseler Theaters, weil damals schon klar war, dass ich nach Bonn ziehen würde. Fünf Jahre an einem Haus sind genug, man braucht als Schauspieler den Wechsel. Unsicherheit ist in dem Job normal und der Preis dafür, dass man Broterwerb und Spaß verbinden darf. Spät schlafen gehen und aufstehen ist ein Luxus, den ich nach der Schichtarbeit als Drucker durchaus genieße. Im Moment ist der Schauspielerberuf für mich der einzig befriedigende. Natürlich kann sich das irgendwann ändern wie alles im Leben.“
Empfohlen wurde ihm das Schauspiel Bonn von der Regisseurin Shirin Khodadaian, die er bei den von der Kritik und dem Publikum begeis­tert gefeierten „Räubern“ 2005 kennengelernt hatte und mit der er 2008/09 auch bei der deutschsprachigen Erstaufführung eines frühen Stückes von Bernard-Marie Koltès zusammenarbeitete. In Trunkener Prozess, einer rauschhaft wilden Bearbeitung von Dostojewskis Schuld und Sühne, spielte Nico Link die zentrale Figur des Raskolnikow.
Seit der Spielzeit 2009/10 ist er fest in Bonn engagiert und stellte sich dem Bonner Publikum als Cassio in Shakespeares Othello (Regie: Stefan Otteni) vor. Den Sir Galahad und diverse andere Figuren verkörperte er in Tankred Dorsts Merlin oder Das wüste Land in der Regie von David Mouchtar-Samorai und freut sich schon darauf, mit diesem Großmeister in der kommenden Saison Harmonie und Chaos in Shakespeares poetischer Komödie Wie es euch gefällt zu erkunden.
Zum ersten Mal in seiner Laufbahn wird er in einem klassischen Weihnachtsmärchen mitwirken: Andersens Schneekönigin, die am 6.November in den Kammerspielen Premiere hat.
An Bonn schätzt er die lebendige kulturelle Vielfalt, die Mischung aus Urbanität, Bodenständigkeit und Landschaftsnähe – und ganz entschieden die Nähe zu Köln, wo unter der Intendanz von Karin Beier Metropolen-Theatermaßstäbe gesetzt wurden. „Eine halbe Bahnstunde entfernt Großartiges sehen zu können, ist schon toll. Unterhalten, Geschichten erzählen, Bühnenfiguren gestalten, Nachdenken provozieren muss trotzdem in Bonn möglich bleiben. Die Kunst darf dabei getrost heiter sein und dem ökonomischen Ernst der Zeit mit freier Fantasie begegnen.“

Samstag, 04.02.2012

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