Martin Tzonev - kultur 47 - 4/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Martin Tzonev - Figaro, Mustafa und Mephisto

Kurz vor der Premiere von Rossinis L’Italiana in Algeri hat Martin Tzonev seinen 35. Geburtstag gefeiert. Geboren wurde er am 28. Februar in der nordbulgarischen Stadt Russe an der Donau, aus der übrigens auch der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti stammt. Rossini kam an einem 29. Februar zur Welt. „Also haben wir eigentlich am selben Tag Geburtstag“, meint Tzonev schmunzelnd. Mit der Musik des italienischen Komponisten verbindet ihn natürlich viel mehr. Als Don Magnifico in Rossinis La Cenerentola gab er 2002 sein Bonner Debüt. Seine erste große Rolle war Don Basilio in Il Barbiere di Siviglia 1996 am Opernhaus seiner Heimatstadt, und jetzt ist er in Bonn als Mustafa in der wunderbar witzigen Inszenierung der „Italiana“ von Andrea Schwalbach zu erleben. Tzonev hat zum ers­­ten Mal mit dieser Regisseurin zusammen gearbeitet und ist begeistert von ihren vielen vergnüglichen Einfällen. „Die Proben waren ein Genuss, wir haben viel gelacht. Trotzdem: Dieser Mustafa ist pompös und eitel, aber keineswegs dumm; er wird nur Opfer seiner Gelüste und interkulturellen Missverständnisse. Außerdem ist der Text wirklich geistreich. Mus­tafa ist allerdings viel schwieriger zu singen als z.B. der Magnifico. Es gibt viele Koloraturen, wie man sie normalerweise bei Frauenstimmen kennt, aber nicht bei einer tiefen Männerstimme. Schade, dass so selten mal eine Opera Seria von Rossini auf die Bühne kommt. Es gibt da so viel tolle, großartige Musik…“
Mit der Oper ist Tzonev aufgewachsen. Sein Vater war 45 Jahre lang Korrepetitor und Studienleiter an der Staatsoper in Russe. Seine Mutter arbeitete als Kinderpädagogin und sang in mehreren Chören. Dennoch interessierte sich Martin zunächst eher fürs Zeichnen, absolvierte eine Ausbildung zum Diplomdesigner und studierte an der Universität in Russe Wirtschaftsdesign. Der Gedanke, selbst als Sänger zu wirken, kam ihm erst mit etwa 18 Jahren bei einer Aufführung von Madama Butterfly: „Da habe ich plötzlich durch Puccinis Musik eine Erleuchtung auf der Gefühlsebene bekommen und alles verstanden, was Oper in sich tragen kann.“
Er studierte anfangs eher nebenbei Gesang an der Musikhochschule in seiner Heimatstadt und danach sehr intensiv am Nationalen Musikkonservatorium in Sofia, wo er 1998 sein Diplom machte und als bester bei den Männerstimmen abschnitt. Seine Abschlussarbeit war die Titelrolle in Donizettis Don Pasquale am Operhaus der bulgarischen Hauptstadt. Schon während des Studiums stand er nicht nur in der Staatsoper Russe auf der Bühne, sondern reiste auch mit der „Internationalen Donauoper“, einem freien professionellen Ensemble, durch ganz Europa.
„Die Bühne ist die beste Lehrerin“, lautet immer noch seine Überzeugung. „Schauspielerische Sicherheit gewinnt man vor allem durch Erfahrung.“
Tzonev erhielt direkt nach seiner Ausbildung in Sofia ein Stipendium am Opernstudio Graz, wo er auch sein inzwischen perfektes Deutsch lernte. Weitere Bühnenerfahrungen sammelte er am Opernstudio Amsterdam. In den Niederlanden ist er immer noch häufig zu Gast, hat mehrfach mit dem Amsterdam Concertgebow Orchester unter vielen berühmten Dirigenten gearbeitet und schon früh Verdis Attila in Rotterdam gesungen. Der junge Bass war Gewinner beim Internationalen Liedgesangswettbewerb in Sofia, Preisträger bei den Nachwuchs-Wettbewerben AIMS (American Institute of Musical Studies) in Graz und Dallas sowie beim Belvedere Wien.
An der Wiener Volksoper bekam er sein erstes festes Engagement, sang dort u.a. auf Deutsch (!) den Bartolo in Mozarts Figaro und den Colline in Puccinis La Bohème (in einer Inszenierung von Harry Kupfer), lernte etliche wichtige Regisseure kennen und erweiterte sein längst sehr umfangreiches Repertoire. 2002 holte ihn der damalige Generalintendant Arnold Petersen nach Bonn, wo er seitdem in zahlreichen Rollen auffiel. Die vier Bösewichter in Offenbachs Les Contes d’Hoffmann gehören ebenso dazu wie der Nick Bottom in Brittens Midsummer Night’s Dream und Lord Krishna in Glass’ Satyagraha – „Das war nicht nur wegen der Sprache Sanskrit eine Riesenherausforderung, sondern weil die Partie für einen Bass auch musikalisch extrem intensiv ist.“
Sehr gefallen hat ihm die Arbeit mit Dietrich Hilsdorf bei dem legendär gewordenen Händel-Zyklus. Tzonev sang die Titelrolle in Saul, den Gobryas in Belsazar und den Hohen Priester Zebul in Jephtha. In Hilsdorfs Inszenierung von Puccinis La Bohème ist er der herrlich komisch verlotterte Philosoph Colline. Zu seinen Bonner Glanzrollen gehören die großen Mozartpartien in der Regie von Klaus Weise. Derzeit ist er wieder zu erleben in der Titelrolle von Le nozze di Figaro. In Don Giovanni war er ein frecher Leporello, eine Leis­tung, die ihm in der deutschen Presse zwei Nominierungen als bester Operndarsteller einbrachte. Den Giovanni selbst hat er bereits beim Internationalen Festival „March Music Days“ in Russe gesungen und in der peruanischen Hauptstadt Lima in der Regie des Startenors Luis Alva. Im nächsten Sommer wird er im spanischen Gijón, wo er im vergangenen Jahr schon als Gauner Sparafucile in Verdis Rigoletto zu hören war, als Giovanni gastieren. Er mag diese tiefe Baritonrolle besonders: „Ansonsten sind die Bässe in der Oper ja meis­tens böse oder komisch.“ Das deutsche Fach liegt dem basso cantante weniger: „Für Wagner braucht man eine andere Stimmfarbe.“ Den Tierbändiger/Athleten in Alban Bergs Lulu (Regie: Werner Schroeter) bewältigte er trotzdem brillant.
Der Mephisto in Gounods Faust (Premiere am 13. April) ist seine nächste große Aufgabe. Die Regisseurin Vera Nemirova, die übrigens in Sofia geboren wurde, kennt er von der Arbeit an Verdis Macbeth in der Saison 2003/04, wo er den Banco spielte.
Neben seinen Opernverpflichtungen bleibt ihm leider wenig Zeit für seine Liebe zur Kammermusik und für Konzerte. Bei den Requien von Mozart und Verdi hat er in verschiedenen Städten mitgewirkt. Lucifero in dem Oratorium La Resurrezione von Händel und Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes zählt er zu seinen besten Leistungen. Im Dezember war er kurz in Nizza mit Beethovens Neunter Symphonie. Im März flog er zu einem Auftritt in der Messa di Gloria von Puccini nach Montpellier. Im Sommer wird er dort in Fedra von Ildebrando Pizzetti, einer musikalischen Version des alten Phädra-Stoffes aus dem frühen 20. Jahrhundert, gastieren und außerdem in Verdis Aida und Nabucco. Un viaggio a Reims in Rossinis Heimatstadt Pesaro ist in Planung.
Mit seinen langen Haaren würde Tzonev allerdings auch als Rockmusiker gute Figur machen. In Bulgarien hatte er vor 15 Jahren tatsächlich eine erfolgreiche Heavy-Metal-Band, die unter dem Namen Nihilist (inspiriert von Nietzsche) Furore machte. Anfangs war er dort die Stimme, inzwischen tourt er nur noch gelegentlich als Gitarrist mit der Gruppe und komponiert Stücke für sie. Ein Projekt mit Pop-Rock-Balladen ist gerade in Arbeit. „Selber komponieren bedeutet Freiheit, und Musik hat viele Formen. Alles, was zum Ausdruck meiner Inspiration gehört, nutze ich gern. Klar: Oper ist eine elitäre Kunst, mit der wir immer nur eine qualifizierte Minderheit erreichen. Richard Strauss macht das in seiner Ariadne auf Naxos ja sogar zum Thema.“ Den Bassbuffo Truffaldino in der „Ariadne“-Inszenierung von Kurt Horres sang Tzonev übrigens schon in seiner ersten Bonner Spielzeit. Bonn ist seitdem seine zweite Heimat. „Genau wie Russe liegt die Stadt an einem großen Fluss, hat viele schöne alte Häuser und ein lebendiges Musikleben.“ Wenn er nicht gerade singt, liest Martin Tzonev gern philosophische oder psychologische Bücher oder widmet sich dem Zeichnen, das inzwischen aber nur noch sein Hobby ist.

Donnerstag, 08.12.2011

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