Mark Rosenthal - kultur Nr. 9 - 7/2004

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Mark Rosenthal - Ein Tenor auf der Suche nach Mahatma Gandhi

Seit mehr als einem halben Jahr beschäftigt Mark Rosenthal sich mit einer Sprache, die zu lernen ihm früher höchstens im Traum eingefallen wäre: Sanskrit, das heute nur noch wenige Menschen beherrschen. In der Sprache des altindischen Epos „Mahabharata" ist die Oper „Satyagraha" von Philip Glass geschrieben und übernimmt auch Originaltexte aus diesem großen Werk der Weltliteratur. Mark Rosenthal singt die zentrale Rolle des indischen Friedenskämpfers Mahatma Gandhi und wird zwei Stunden lang ständig auf der Bühne präsent sein. Über 100 Seiten Text auf Sanskrit hat er gelernt und sich zum besseren Verständnis der sprachlichen Feinheiten auch der Hilfe des Bonner Indologen Karl-Heinz Golzio versichert. „Ich muss jeden Tag neben dem Gesang einfach Textpassagen üben. Das ist übrigens ein tolles Gehirntraining. Dabei hilft mir auch, dass ich liturgisches Hebräisch lesen und verstehen und mich ziemlich schnell in fremde Schriftzeichen einlesen kann." Für seine sehr wandelbare Tenorstimme ist die Gandhi-Partie gestalterisches Neuland. „Der Gesang ist sehr einheitlich - auf den ersten Blick fast ‚steril' - und bewegt sich fast immer in der Mittellage, was für eine sehr hohe Stimme gefährlich sein kann. Die üblichen dynamischen Markierungen gibt es nicht. Das ist viel anstrengender als ‚normale' (gibt's das überhaupt?) große Solos. Man kann nichts verbergen, braucht immer einen individuell erarbeiteten Ausdruck."
Außerdem fasziniert ihn die Rolle selbst. Mit dem Philosophen und politischen Denker Gandhi verbindet ihn eine Menge („rein äußerlich die Glatze, auch wenn ich ansonsten etwas weniger asketisch aussehe"), aber ein Double der historischen Figur will er nicht spielen, sondern Gandhis Ideenwelt verkörpern: „Es ist wichtig zu zeigen, dass erfolgreiche ebenso wie fehlgeschlagene Experimente die Welt verändern können, dass man sich an einigen Stellen wehren muss und dass Frieden dennoch eine der größten Menschheits-Utopien ist. Seit dem 11. September könnten wir mehrere Gandhis gut gebrauchen."
Trotz der riesigen Herausforderung strahlt Mark Rosenthal zwei Wochen vor der Premiere eine unbeirrbare Gelassenheit aus. „Ruhe bewahren, gesund bleiben und schön singen", ist sein Motto. Körperlich trainiert ist der passionierte Kraftsportler und Langstreckenläufer ohnehin, geht aber, seit er in Bonn wohnt, auch gern mit seinem Hund Klia ganz entspannt am Beueler Rheinufer spazieren. An der Bonner Oper ist er seit 2002 engagiert. Debütiert hat er dort als Steuermann im umstrittenen „Fliegenden Holländer". Im selben Jahr hat er auch geheiratet. Seine Ehefrau, die Mezzosopranistin Marianne Freiburg, singt im Bonner Opernchor. Ende April haben die beiden gemeinsam mit dem Pianisten Christopher Arpin im Opernfoyer einen ungewöhnlichen Liederabend gestaltet mit Musik aus der biblischen und jüdischen Tradition, von alten liturgischen Gesängen bis zu ganz modernen Klängen. Einige Stücke und Arrangements stammten von Mark Rosenthal selbst, der längst auch ein anerkannter Komponist ist.
Dass er ein Multitalent ist, singen, sprechen und tanzen kann, hat er in Bonn schon in ganz unterschiedlichen Rollen bewiesen, z.B. als Hoher Priester in Händels „Saul", als Mottel in „Anatevka", als Anwalt in Birt-whistles „Punch and Judy", als vierfacher Begleiter des Bösen (Andreas / Cochenille / Franz / Pitichinaccio) in Offenbachs „Les Contes d'Hoffmann", als skurriler Macho in der Revue „MännerMachtFrauen" und als bucklige Knusperhexe in Humperdincks „Hänsel und Gretel", die alle Kinder erschreckte, aber auch zum Lachen brachte.
1963 wurde er in Middletown zu Dayton/Ohio (USA) geboren. In seiner Heimatstadt studierte er zunächst Posaune und entschied sich erst spät für ein Gesangsstudium. Beide Ausbildungen schloss er mit Bestnoten ab. Das Singen wurde dann wider Erwarten („Damals waren meine Freunde total überrascht, die haben mich mich ausgelacht.") zu seinem Hauptberuf. Sängerisch neugierig hat er dann eigentlich alles mit der ihm eigenen Gründlichkeit gemacht: An der Ohio Light Opera, am Akron Civic Theatre, im National Chorale of New York und bei den Robert Page Singers of Cleveland war er engagiert, hat als Universitätsdozent und als Opern-, Kirchen- und Synagogenchorleiter und natürlich beständig als Solist gearbeitet.
Sein Gesangslehrer Clifford Billions hatte ihm schon 1987 den Rat gegeben, nach Deutschland zu gehen, um sein Talent weiter zu entwickeln. Ein Jahrzehnt später wagte er es, um sich selbst auf die Probe zu stellen. „Bei einem Festival in Graz 1995 habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen, meinen Umzug zwei Jahre lang systematisch vorbereitet, massenhaft deutsche Bücher gelesen, jede Gelegenheit genutzt, um Deutsch zu sprechen. Auch zu Hause sprechen wir jetzt nur ganz selten Englisch, obwohl meine Ehefrau Marianne diese Sprache perfekt beherrscht."
Wie kommt ein amerikanischer Jude („Das darfst Du ruhig schreiben; ich bin ein sanfter Mensch, übe Nächstenliebe, liebe den Frieden und finde es weltweit - in den USA, in Nahost und in Europa - unerträglich, wenn der Glaube an die Unantastbarkeit der Würde des Menschen mit Füßen getreten wird.") zu dieser intensiven Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Kultur? „Das ist ganz seltsam. Als 10-jähriges Kind begegnete ich einem Freund unserer Familie, einem deutschen Emigranten. Er war mindestens 75, und wir nannten ihn ‚Skipper' (dass ich in Bonn zuerst im „Holländer" auftrat, ist nun wirklich ein Zufall). Er lud mich öfters am Sonntagabend zum privaten Deutschunterricht ein. Seine Redeweise war etwas veraltet, aber sein Grundwissen war erstaunlich: Wissenschaft, Politik, Gedichte, Oper... Und das Tollste ist: Ich lernte Deutsch in der alten Sütterlinschrift, die ich bis heute immer noch gut lesen kann. An der Highschool wählte ich Deutsch als erste Fremdsprache und bekam einen ziemlichen Schock, diese Sprache jetzt nur noch in lateinischen Buchstaben zu sehen."
Von 1998 bis 2002 war Mark Rosenthal am Anhaltischen Theater in Dessau engagiert,
wo er auch seine Frau kennen lernte. Gleich
in seiner ersten Saison hat er 16 Partien einstudiert. „Ich war offensichtlich der Mann für alle Fälle - robust, zuverlässig, und am Ende der Spielzeit definitiv urlaubsreif!" Ein ‚Zwischenfachmensch' und ein begeistertes Arbeitstier ist er geblieben, der vom Spieltenor und Lyrischen Tenor bis zum Charakter-/ Heldentenor und begehrten Konzertsänger alles kann und Ausflüge in die leichte Muse nicht scheut. Sein Repertoire reicht vom Musical bis zu den großen Messen und Oratorien.
Zur Eröffnung der neuen Opernsaison im Herbst arbeitet er schon an der Rolle des Narren Skuratow in Janáceks „Aus einem Totenhaus" - diesmal auf Tschechisch. Sprachen liebt er und nimmt sie immer auch musikalisch wahr. Bei den Proben zu Silviu Purcaretes Inszenierung von „Satyagraha" redet man auf Englisch, Französisch und Rumänisch und versteht sich problemlos. „Silviu überlässt die Stimme den Sängern und denkt in Bildern." Mark Rosenthal schätzt Regisseure, die ihn zum musikalischen Denken und Spielen anregen. Ein unkritisches Instrument von fremden Phantasien mag er nicht sein. „Sänger haben auch unantastbare Grundbedürfnisse: Als Sänger muss ich das Orchester hören, den Dirigenten sehen und mit allen Tönen auf der Bühne und im Graben sicher kommunizieren können. Und mit dem Publikum, das in Bonn übrigens sehr gut geschult ist. Am liebsten sind mir Aufführungen, bei denen wir gemeinsam eine von der Musik getragene Geschichte so ehrlich erzählen, dass sie sinnlich und gedanklich glasklar verstanden wird."

Dienstag, 25.02.2014

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