Klaus Weise - kultur 50 - 10/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Klaus Weise - Seit fünf Jahren Generalintendant in Bonn

Gerade hatte er ein Gespräch mit Hans Hollmann, der unter der Schauspielintendanz von Peter Eschberg für mehrere Aufsehen erregende Uraufführungen sorgte, zuletzt 2002 in den Kammerspielen Goethes Iphigenie inszenierte und im nächsten Jahr die Regie bei der Oper König Roger übernehmen wird. Auch wenn Klaus Weise als Regisseur das künstlerische Profil von Oper und Schauspiel mitgestaltet – wie seine Vorgänger möchte er viele unterschiedliche Regie-Handschriften zeigen. Er setzt dabei wie z.B. mit Dietrich Hilsdorf auf Kontinuität, sucht aber immer auch neue Talente wie etwa Ingo Berk oder Stefan Heiseke. „Es gibt genug Chancen, gescheites Theater zu machen“, hat er zu Beginn seiner Amtszeit 2003 gesagt, obwohl schmerzliche finanzielle Einschnitte unvermeidlich waren. Nach fünf Jahren Generalintendanz eines Dreisparten-Theaters leitet er seit Beginn dieser Spielzeit nach dem Wegfall eines eigenen Tanztheaters nur noch zwei Sparten. Dennoch: In der Beethovenstadt spielen Oper und Schauspiel keine Nebenrolle; die Resonanz des Theaters Bonn ist über die Grenzen der Region hinaus mehr als beachtlich; die vergangene Saison bescherte ihm einige Zuschauerrekorde. Klaus Weises Vertrag wurde von der Stadt mit guten Gründen bis 2013 verlängert. Dass er vor mehr als 20 Jahren beinahe schon als Regisseur in Bonn geblieben wäre – unter Eschberg inszenierte er hier den Monolog Du bist meine Mutter des Niederländers Joop Admiraal mit dem Bonner Schauspieler René Toussaint – ist eher eine Anekdote in seiner künstlerischen Biografie.
Geboren wurde Klaus Weise am 9. Dezember 1951 im thüringischen Gera. Das Datum ist ihm wichtig, denn genau 50 Jahre früher kam der Dramatiker Ödön von Horváth zur Welt, den Weise sich zu einer Art Leitfigur erkoren hat. „Er beschreibt mit einer unglaublichen Präzision und liebevollen kritischen Distanz ein gewisses Bürgertum, das mir nicht ganz unvertraut ist. Man muss hinter seiner genial verknappten Sprache immer die verborgenen Reste aufspüren. Horváths ungeheuer vielschichtige Figuren sind sicher auch ein Grund dafür, dass ich die Präsenz der Bühne mit unmittelbar agierenden Schauspielern bald noch aufregender fand als das Kino.“ Nach Horváths Kasimir und Karoline am freien Modernen Theater München 1984 inszenierte er am Nationaltheater Mannheim mit großem Erfolg 1985 Der jüngste Tag und 1986 Don Juan kommt aus dem Krieg, wofür er mit dem Förderpreis für junge Bühnenschaffende der Dr.-Otto-Kasten-Stiftung ausgezeichnet wurde. „Jede Szenen- und Personenbeschreibung wird sicht- und hörbar“, hieß es damals in „Theater Heute“: „Der Regisseur lässt den Don Juan alles vorstellen, was der Autor zur Charakterisierung knapp und pointiert beigetragen hat.“ In Mo­zarts Don Giovanni, den Weise 2005 an der Bonner Oper inszenierte, klang ein ganz leises Horváth-Echo mit. „Mozarts Figaro ist übrigens viel schwieriger auf die Bühne zu bringen“, erklärt Weise, der selbstverständlich die Vollendung seines Mozart/Da Ponte-Zyklus mit Cosí fan tutte plant, sich aber regelmäßig auch der Oper des 20. Jahrhunderts widmet. Hindemiths Cardillac und Korngolds Die tote Stadt waren in Bonn große Erfolge, in dieser Saison folgt Elektra von Richard Strauss. Weise freut sich schon auf seine erste Zusammenarbeit mit dem neuen Generalmusikdirektor Stefan Blunier. Aktuell laufen jedoch die Proben zur Uraufführung von Tasmanien des Franzosen Fabrice Melquiot in den Kammerspielen auf Hochtouren: „Eine groteske Parabel über den Willen zur Macht“. Weise stellt in seiner Inszenierung zugleich die neuen jungen Mitglieder des Schauspiel-Ensembles vor.
An seine kurze Kindheit in der DDR erinnert Klaus Weise sich gern: „Mein Vater führte als kleiner Selbstständiger eine angesehene Metzgerei. Mit meinem Großvater erkundete ich die Landschaft. Als erste in unserer Straße hatten wir einen Fernseher, so dass die ganze Nachbarschaft sich in unserem Haus traf. Meine Mutter ging mit meiner vier Jahre älteren Schwester gern ins Theater. Zu Die Prinzessin auf der Erbse durfte ich zum ersten Mal mitkommen und hatte den Eindruck, durch ein fremdes Fenster in eine neue Welt zu blicken. Wenn mein Vater von seinen Besuchen auf der Leipziger Messe zurückkam, brachte er ein sehnsüchtig erwartetes Geschenk mit: Eine Banane und eine Orange für jeden. Eine noch größere Sensation war freilich ein Paket aus dem Westen: Mit lässigem Chewing-Gum zwischen den Zähnen war man beinahe filmreif.“
Weil der Vater im Osten keine unternehmerische Zukunft mehr sah, mit dem politischen System nicht einverstanden war und seine Tochter nicht zur FDJ schicken wollte, zog die Familie 1958 in die Bundesrepublik. „Wir Kinder fanden es seltsam, im Mai haufenweise Winterklamotten anzuziehen und trotzdem zitternd in der Berliner U-Bahn zu sitzen. Als wir endlich in Aachen ankamen, mussten wir mit unserer bescheidenen Flüchtlingshabe zu Fuß laufen, weil wir kein Geld für die Straßenbahn zu unserem Quartier bei Freunden hatten. Zur Einschulung in Aachen gab es nicht mal eine Zuckertüte.“ Über Stationen in Frankfurt, Wuppertal und Oberhausen erarbeitete die Familie sich in Mülheim an der Ruhr wieder einen bescheidenen Wohlstand. „Ich habe gelernt, wie es ist, wenn man aus dem Nichts wieder etwas aufbauen muss.“
Auf dem Gymnasium entdeckte er die immaterielle Welt der Literatur und Kunst. Schon als Schüler war er aktives Mitglied in einem Kino-Club und ging gern in den nahe gelegenen Ruhrgebietsstädten ins Theater. Nach dem Abitur 1970 in Mülheim studierte er bis 1973 an der Hochschule für Film und Fernsehen in München und danach kurz Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft an der Münchner Universität. „Ich war jedoch zu ungeduldig und wollte unbedingt mit lebendigen Menschen arbeiten.“ 1974/75 ging er als Hospitant und Regieassistent ans Stadttheater Ingolstadt, von 1975 bis 1978 war er unter der Intendanz von Ivan Nagel Regieassistent am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, u. a. bei Dieter Giesing, Luc Bondy, Alfred Kirchner und Peter Zadek. 1977 inszenierte er als erste eigene Regiearbeit in Kiel Frankenstein von Wolfgang Deichsel und kurz danach 1978 in Tübingen die Komödie Bezahlt wird nicht von Da­rio Fo. In Gießen, Basel und Karlsruhe arbeitete er als freier Theaterregisseur. In Karlsruhe inszenierte er auch viel Kindertheater, z.B. den Lebkuchenmann und Pu der Bär, wobei er sogar selbst die Rolle des Esels übernahm, worüber er immer noch herzlich lacht.
Als Filmregisseur und Drehbuchautor machte er sich in den 80er Jahren mit mehreren erfolgreichen ZDF- und Kinoproduktionen einen Namen. Rauhnacht lief 1984 bei den Berliner Filmfestspielen, Die Freitreppe 1988 nur deshalb erst am Ende der Hofer Filmtage, weil Weise bis zum letzten Moment an seiner Düsseldorfer Theaterpremiere von Ferenc Molnárs Liliom arbeitete. „Der Filmvorführer sagte mir hinterher: ‚Das war der beste Film dieses Festivals“ – ein tolles Kompliment!“ Weises Film Peter Eschbachs Herz (1990) wurde im Fernsehen zur besten Sendezeit gezeigt. 2003 verlagerte er das Bühnenstück Portia von Marina Carr, das er zuvor am Theater Oberhausen inszeniert hatte, in eine surreale Ruhrgebietslandschaft. Der Spielfilm war im WDR3 zu sehen und zu Beginn von Weises Bonner Intendanz auch in den Kammerspielen.
Von 1986 bis 1988 war Weise leitender Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seine Inszenierungen von Ibsens Nora und Gespenster sowie Millers Hexenjagd fielen dort überregional auf. 1989 wechselte er als Schauspieldirektor ans Staatstheater Darmstadt. 1991 übernahm er die Leitung des Theaters in Oberhausen. Oper und Ballett wurden angesichts der wirtschaftlichen Situation der Stadt geschlossen. Weise baute jedoch ein neues Schauspiel-Ensemble auf, eroberte ungewöhnliche Spielräume, luchste der Kulturpolitik eine gründliche Renovierung des Theaters und neue Probenräume ab und machte mit einem 18-Millio­nen-DM-Etat und einer gelungenen Mischung aus spannend neu beleuchteten Klassikern, widerständigen Uraufführungen und intelligenter U

Donnerstag, 08.12.2011

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