Kathrin Leidig - kultur 90 - November 2012

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Kathrin Leidig: Kaisergattin Bangsa, Hänsel und Cherubino

„Früher mochte ich Hosenrollen überhaupt nicht“, gesteht die junge Mezzosopranistin. „Inzwischen macht’s mir aber großen Spaß, auch mal burschikos aufzutreten.“ Vor ein paar Tagen hat Kathrin Leidig erneut den Hänsel bei der Wiederaufnahme von Humperdincks beliebter Familienoper Hänsel und Gretel gesungen. Als die zauberhafte Bilderbuch-Inszenierung von Franziska Severin 1995 hier herauskam, war Kathrin Leidig selbst noch ein Kind.
Geboren wurde sie 1984 in der Kreisstadt Balingen im Süden Baden-Württembergs. „Ich hatte Ballett- und Flötenunterricht und sang viel und gern. Also eigentlich nichts Besonderes. Riesenspaß machten mir aber das Verkleiden und Spielen von irgendwelchen Rollen vom Clown bis zu Pippi Langstrumpf. Als mein Vater, ein Tierarzt, mal eine CD mit dem Musical ‚Cats’ geschenkt bekam, habe ich die ganzen Songs auswendig gelernt und der Familie alle Katzen vorgespielt. Als ich das Stück dann in Stuttgart sah, war es eine herbe Enttäuschung. Klar: In meiner Fantasie waren die Figuren so lebendig geworden, dass keine Aufführung dieser Begeisterung standhalten konnte. Natürlich habe ich damals nie daran gedacht, irgendwann selbst auf einer professionellen Bühne zu stehen. Schauspielerin wollte ich nie werden, aber mit meiner Stimme etwas zu gestalten, reizte mich schon früh.“
Mit 14 Jahren erhielt sie ihren ersten privaten Gesangsunterricht. Nach dem Abitur begann sie ein Gesangsstudium an der staatlichen Musikhochschule Trossingen. Die kleine Stadt war weltweites Zentrum der Harmonika-Industrie, ist Sitz verschiedener überregionaler Musikverbände und stolz auf ihre musikalischen Traditionen. „Die Musikhochschule ist relativ klein, bietet ihren Studierenden aber zahlreiche Möglichkeiten, sich in Konzerten solistisch zu bewähren. Der Kontakt zu den Lehrkräften und zum örtlichen Publikum ist direkter als bei den großen Institutionen.“ Kathrin Leidig sang schon 2006 die zentrale Mezzosopran-Partie in Händels Jephtha in der Stiftskirche Tübingen. Die Aufführung wurde vom SWR2 aufgezeichnet. Ebenfalls 2006 war sie Solistin bei der Uraufführung der Neubearbeitung von O Liebe – süßer Tod von Dieter Schnebel beim Neue-Musik-Festival in Mülheim an der Ruhr. Es folgten u. a. Engagements in Mendelssohns Elias, Mozarts Requiem sowie Bachs Matthäuspassion.
2007 erhielt sie den 1. Preis des Iris-Marquardt-Wettbewerbs in Trossingen und machte ihr Diplom als Gesangspädagogin. Mit einem Erasmusstipendium zog sie 2008 an die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, besuchte Opern- und Liedklassen und machte zwischendurch in Trossingen ihr künstlerisches Diplom. 2009 war sie Stipendiatin des Richard Wagner-Verbandes Konstanz und fuhr nach Bayreuth. „Es war toll, dort so viele junge Künstler aus aller Welt zu treffen. Bei den Aufführungen hat mich vor allem die Dramatik von Wagners Musik fasziniert. In dieses gesangliche Fach muss man aber langsam hineinwachsen. Im Moment liegt das für mich noch in weiter Ferne. Und ob ich’s überhaupt möchte, weiß ich gar nicht.“
Zumal sie derzeit ihren Tagesablauf sehr sorgfältig organisieren muss. Im März 2012 kam nämlich ihr Sohn Bálint zur Welt. Dessen Vater ist Ungar und arbeitet als selbstständiger Softwareentwickler. „Er ist zeitlich flexibel und kümmert sich gern um das Kind. Außerdem ist es ganz gut, wenn man zu Hause mal nicht nur über Musik und Theater redet.“ Bei der Premiere von Lakmé Ende Januar, bei der sie die Mallika sang, war sie eigentlich schon im Mutterschutz. Diese Figur hochschwanger auftreten zu lassen, war so überzeugend, dass Susanne Blattert später in der Rolle einen künstlichen Bauch verpasst bekam.
Seit der Spielzeit 2010/11 gehört Kathrin Leidig zum festen Ensemble der Bonner Oper. Schon vorher gastierte sie hier als Glaša in Katja Kabanowa. Da war sie noch Studentin an der Opernschule der Hochschule für Musik in Karlsruhe, wo sie 2011 ihr Master-Examen ablegte. „In Karlsruhe wird man sehr gut auf den Beruf vorbereitet. Es gibt regelmäßige Vorsing-Trainings. Man wird Agenturen vorgestellt und lernt in Kursen verschiedene Dirigenten und Regisseure kennen.“ Zu ihren schönsten Erlebnissen zählt sie ihren Auftritt in Mahlers 2. Symphonie, den sie in einem Hochschul-Projekt mit dem Dirigenten Jonathan Nott erarbeitete. Für Konzerte hat sie aktuell trotz etlicher Angebote keine Zeit mehr, weil Familie und Oper sie voll beanspruchen.
Angefangen hat sie in Bonn mit kleineren Rollen wie der Mercédès in Carmen, der 2. Waldnymphe in Rusalka, Milli in Der ferne Klang und ein Musiker in Manon Lescaut. Sehr anrührend verkörperte sie dann das unglückliche Gretchen im Wildschütz. In dieser Saison spielt sie die Bangsa, eine der vier liebeshungrigen Kaisergattinnen in Das Nusch-Nuschi, dem dritten Teil von Hindemiths „Triptychon“ (s. Kritik S. 4). Besonders freut sie sich auf ihr Debüt als Cherubino bei der Wiederaufnahme von Klaus Weises wunderbarer Inszenierung von Le nozze di Figaro. Die Partie hat sie schon an der Hochschule einstudiert. „Aber es ist etwas ganz anderes, die Figur jetzt wirklich zu spielen. Und apropos Hosenrolle: Dieser Junge kommt mit seiner Geschlechtsrolle noch gar nicht zurecht. Es macht Spaß, wie er changiert und nicht weiß, wo er hingehört.“ Lieblingskomponis­ten hat Kathrin Leidig eigentlich nicht, aber Mozart singt sie besonders gern: „Seine Musik tut der Stimme gut.“
Im Januar folgt dann aber eine echte weibliche Figur: die Rosina in Rossinis Il Barbiere di Siviglia, der ja quasi die Vorgeschichte zu Figaros Hochzeit erzählt. Natürlich lernt sie diese große Partie jetzt schon intensiv. „Wenn das Baby schläft, kann ich prima arbeiten. Außerdem ist Bonn eine sehr kinderfreundliche Stadt mit einem tollen Kulturangebot für junge Familien.“ Zum ersten Mal hier war sie beim erfolgreichen Vorsingen 2010. „Der Rhein und die Landschaft haben mir sofort gefallen. Die Stadt ist übersichtlich; die Wege sind kurz und mit dem Fahrrad flott zu bewältigen.“ Bonn ist ihr ers­tes Bühnen-Engagement, an anderen großen Häusern hat sie noch nicht gearbeitet. „Die Kollegen hier sind fantas­tisch. Es ist toll, ganz verschiedene Regie- und Dirigierhandschriften kennenzulernen und bei der eigenen Entwicklung sorgfältig durch ein exzellentes Team unterstützt zu werden. Vielleicht bleibt mir diese Chance noch eine Zeitlang erhalten“, hofft sie vorsichtig.
Privat stehe sie sehr ungern im Mittelpunkt, erklärt die sympathische junge Sängerin ehrlich. Aber in einer Rolle etwas darzustellen und sich über den Gesang fremde Gefühle anzueignen, sei wie eine Offenbarung, die sie gern mit dem Publikum teile.
Befragt nach einer zukünftigen Traumrolle, nennt sie den Oktavian im Rosenkavalier. Schon wieder eine Hosenrolle, aber das schillernd Knabenhafte gehört halt zum Mezzo-Repertoire und steht der schlanken Brünetten mit den hellwachen dunklen Augen genau so gut wie das kokett Mädchenhafte. Naivität kann sie spielen, im wirklichen Leben ist sie allerdings lieber eine höchst nachdenkliche junge Frau.

Dienstag, 12.02.2013

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