Julia Novikova - kultur 65 - April 2010

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Julia Novikova: Operalia-Siegerin, Gilda, Adina und Mozarts Königin der Nacht

„Für eine Model-Karriere bin ich einfach zu klein“, erklärt die zierliche Sopranistin beim Gespräch in der „Hausbar“, obwohl sie 2009 für die Zeitschrift „Brigitte“ in einem silber-weißen Seiden-Traumkleid von Ugo Zaldi als blonde „Elfe auf dem Sprung“ posierte. „Tolle Kostüme sind schön, aber mich interessiert mehr, was darunter steckt und welche Gefühle ich mit meiner Stimme ausdrücken und bei den Hörern wecken kann.“ In Jeans und ungeschminkt wirkt die russische Sängerin, um die sich derzeit etliche große Opernhäuser der Welt bemühen, ohnehin nicht wie eine Diva, sondern wie eine nachdenkliche junge Frau, die sehr ernsthaft mit dem Erfolg umgeht und lieber intensiv arbeitet, als plötzlichen Glamour zu genießen. „Bis vor kurzem war ich bei allen Wettbewerben die Jüngste; jetzt gehöre ich nicht mehr zum Nachwuchs, sondern zu den erwachsenen Sängerinnen, die sich dauerhaft beweisen müssen. Das ist ein harter Job, bei dem man erst mal so auf drei Jahre im Voraus denkt und sich ab und zu schon fragt, was man dann mit 45 macht: Elisabetta in Donizettis Roberto Devereux oder immer noch Adina im Liebestrank, die ja eigentlich kein Alter hat.“
Bei der Premiere von L’elisir d’amore (s. kultur-S. 3) war sie leider nicht in Bonn, sondern sang die Zerbinetta in Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos in Mulhouse. Anfang Februar wurde sie bei der Premiere dieser Produktion der Opéra National du Rhin in Straßburg als Idealbesetzung der Rolle gefeiert. Shooting-Star Julia Novikova, geboren im Oktober 1983 in St. Petersburg, kann und will sich freilich noch Zeit lassen für ihre weitere Entwick­lung. Obwohl ihr Terminkalender ziemlich voll ist. Gleich nach der „Ariadne“ war sie Ende Februar zu Gast in der New Yorker Carnegie-Hall bei einem Galakonzert junger Preisträger. Sie vertrat dort „Operalia“, den von Placido Domingo 1993 ins Leben gerufenen, hoch angesehenen internationalen Wettbewerb für junge Opernsänger. Im Sommer 2009 gewann Julia den ersten Preis in der Kategorie weibliche Stimmen. Von etwa 900 Bewerbern wurden 47 zur Endrunde in Budapest eingeladen. Julia überzeugte nicht nur die prominente Jury, sondern erhielt auch den gesonderten Publikumspreis. Die strahlende Siegerin kehrte also gleich mit zwei bedeutenden Auszeichnungen nach Bonn zurück, wo sie seit der Spielzeit 2008/09 fest engagiert ist. Schon bevor sie die Urkunden entgegennahm, hatte Ioan Holender, Direktor der Wiener Staatsoper und „Operalia“-Jurymitglied, sie als Königin der Nacht an sein Haus verpflichtet. Diese Mozart-Partie sang sie in Bonn, Frankfurt am Main, im letzten November in Wien, im Dezember an der Hamburger Staatsoper und im Januar an der Berliner Staatsoper Unter den Linden – jedes Mal mit großem Erfolg. „Es ist ziemlich aufregend, in so kurzer Zeit in ganz verschiedenen Inszenierungen aufzutreten, aber es macht auch ungeheuren Spaß.“
Die „Operalia“-Preise waren natürlich die Krönung ihrer zuvor schon mit etlichen renommierten Auszeichnungen geförderten Laufbahn. 2006 erhielt sie den dritten Preis beim internationalen Stenhammar-Gesangswettbewerb und zudem den Spezialpreis für moderne schwedische Musik. 2007 gewann sie die Publikumspreise beim Concours de Genève und beim Wettbewerb „Neue Stimmen“ der Bertelsmann-Stiftung, 2008 den Emmerich-Smola-Förderpreis des SWR.
Musik spielt seit ihrer Kindheit eine große Rolle in Julias Leben: „Meine Eltern waren keine Profi-Musiker, aber sehr musikalisch; ich bekam viele LPs mit Märchen und Kinderliedern, die ich spontan mitsang. Singen war für mich so natürlich wie reden. Mein Vater bemühte sich sehr um die Förderung meines Talents.“ Julia lernte in einer Musikschule Klavier und Flöte, sang in Kinderchören und wurde mit acht Jahren Mitglied des Radio/TV-Jugendchores in St. Petersburg. Große Tourneen mit diesem Chor führten sie durch halb Europa und zweimal sogar nach Japan. 1996 und 1999 nahm sie am Chorwettbewerb in Montreux teil; beim zweiten Mal gewannen sie den ersten Preis, ebenso wie beim Chorwettbewerb in Darmstadt. Julia war damals schon Solistin. „Ich habe mich quasi durchgesungen bis zur Hochschule.“
Bevor sie am Petersburger Rimsky-Korsakow-Konservatorium die Aufnahmeprüfung bestand, bewarb sie sich mit Erfolg an der staatlichen Schauspielschule, wo sie sich Grundlagen der Darstellungskunst aneignete. „Ich hatte viele Interessen, merkte aber schnell, dass die Oper mich am meisten faszinierte. Die Ausbildung am Konservatorium war sehr gründlich: Wir hatten eine eigene Bühne, auf der wir mit erfahrenen Künstlern zusammen arbeiteten und uns von Vorstellung zu Vorstellung die Rollen erarbeiten konnten. Dabei wurde wirklich jeder Ton aus unseren Kehlen genau besprochen.“ Im Konservatoriums-Theater sang Julia u. a. die Susanna in Mozarts Figaro und die Titelrolle in Verdis Traviata. 2006 bestand sie ihr Examen mit Auszeichnung und debütierte am Marinski-Theater als Flora in Brittens The Turn of the Screw unter der musikalischen Leitung von Valery Gergiev.
Dass sie nach Deutschland ziehen würde („Deutsch war meine zweite Fremdsprache in der Schule“), stand da schon fest. Julia hatte Bekannte in Dortmund besucht, einfach mal bei der dortigen Oper vorgesungen und war sofort engagiert worden. Olympia in Hoffmanns Erzählungen, Rosina im Barbier von Sevilla, der Waldvogel im Siegfried und Gilda im Rigoletto gehörten zu den vielen großen Partien, in denen die sie sich dort präsentierte. Als Gilda war sie auch in Lübeck zu erleben und triumphierte in dieser Rolle im September 2009 bei der Premiere der eigenwilligen, aber stringenten Rigoletto-Inszenierung von Barry Kosky an der Komischen Oper Berlin. Als eine der weltbes­ten Gildas wurde sie von der Kritik schon gelobt, als sie in Bonn die Rolle verkörperte. „Es hat mir viel geholfen, dass ich die Figur schon aus drei Inszenierungen kannte“, erklärt sie mit leisem Lächeln.
Vorgestellt hat sie sich in Bonn als androgyner Oscar in Verdis Mas­kenball und in der Hosenrolle des „Medoro“ in Vivaldis Orlando furioso. Zum Publikumsliebling avancierte sie 2009 als kokette Blonde in Mo­zarts Entführung. Als Konzertsängerin war sie in den vergangenen Monaten u. a. zwischen Paris, Bordeaux und Nancy unterwegs und gab ein umjubeltes Solo-Recital beim Grachtenfestival in Amsterdam: „Für solche Abende suche ich mir Lieder, die mir ganz persönlich gefallen. Ich habe ein Faible für Strauss und Debussy und natürlich für meine Landsleute Rimsky-Korsakow und Rachmaninow, bei denen ich meine schöne Muttersprache einsetzen kann.“
Derzeit ist selbstverständlich Adina in Donizettis L’elisir d’amore ihre Traumrolle, zumal sie die witzige Inszenierung von Vera Nemirova höchst gelungen findet. 2011 steht die Norina in Donizettis Don Pasquale an der von Placido Domingo geleiteten Oper Washington auf ihrer Agenda. Im Juni 2010 singt sie die Gretel in Humperdincks Hänsel und Gretel in Lyon und wird danach wohl einen zweiten Wohnsitz in Wien brauchen. Einen ersten behält sie vorläufig noch in Bonn: Wegen Gilda („ein junges Mädchen, das von einer Männerfalle in die nächste stolpert“) und Adina („eine intelligente, erfahrene Frau, die ihre eigenen Gefühle noch begreifen muss“) und Amina in Bellinis La Somnambula. Die Premiere an der Oper Bonn ist im Juli 2011 geplant. Die Partitur studiert Julia selbstverständlich jetzt schon: „Ich möchte immer genau wissen, was in einer Oper musikalisch passiert. Singen und spielen kann ich nur, was ich verstehe. Das ist eine tägliche wundervolle Herausforderung. Dass ich das Glück habe, dabei auch noch viel von der Welt kennenzulernen, ist toll.“

Dienstag, 25.02.2014

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