Julia Kamenik - kultur Nr. 28 - Juni 2006

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Julia Kamenik - Euridice, Pamina, die Operette und die Chemie

Elena hat am Abend vor ihrer Geburt am 17. Juni 2004 noch Philip Glass' Oper Satyagraha gehört. Als ihre schöne junge Mama Julia Kamenik in Les Contes d'Hoffmann die schwindsüchtige Antonia sang, war Elena gerade unterwegs in die Opernwelt. Einen bezaubernden Liederabend im Frühjahr 2005 mit Werken von Mussorgski, Prokofjew, Ravel, Satie und Bernstein widmete Julia Kamenik allen Kindern der Welt und natürlich besonders ihrer kleinen Tochter.
An diesem sonnigen Mainachmittag ist Elena allerdings nicht mitgekommen, sondern mit ihrem Papa zum Spielplatz gegangen. Julia Kameniks Ehemann Robert Sedlak ist Jurist und arbeitet in Köln im Kultur- und Medienmanagement. Wenn er nicht gerade singt. Denn er ist nebenbei ein gefragter Konzert-Bariton. Zuletzt war er im Aachener Dom in Bachs Matthäuspassion zu hören.
Der Gesang ist für die 1972 in Wien geborene Julia Kamenik ein fester Bestandteil des Familienlebens. Ihr Vater hat zwar Vermessungstechnik studiert, sich beruflich aber doch für die Musik entschieden und mehr als 30 Jahre lang im Chor der Wiener Staatsoper gesungen, die Mutter ist Apothekerin und Mitglied im berühmten Wiener Singverein. In den Sommerferien waren beide immer bei den Salzburger Festspielen engagiert. „Wenn andere Kinder ans Meer fuhren, musste ich mit nach Salzburg. Wirklich eine schöne Stadt, aber ich habe sie gehasst.“ Dennoch, in Salzburg hat Julia Kamenik mit fünf Jahren zum ersten Mal in einer Oper mitgewirkt - allerdings nur als Statistin. Das war in der berühmten Zauberflöten-Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle mit einer riesigen Schlange, in der sich viele Kinder verbargen. „Ich habe ganz klein in der Schwanzspitze angefangen und mich in drei Jahren bis zum Kopf vorgearbeitet.“ Dass sie später mal in Bonn die Pamina singen würde, hat sie damals natürlich noch nicht geahnt.
Mit dem Gesang richtig angefangen hat sie erst mit 16 Jahren, neben dem Schulbesuch regelmäßig privaten Unterricht genommen und in bekannten Chören wie dem Concentus Vocalis und der Wiener Singakademie etliche Auftritte absolviert. Weil aber auch das naturwissenschaftliche Interesse in der Familie liegt und weil es immer gut ist, etwas ‚Solides' zu beherrschen, hat sie an der Technischen Universität Wien Chemie studiert, ist seit 1997 Diplom-Ingenieurin und hat danach mehrere Jahre als Unternehmensberaterin im Umwelt-Management gearbeitet. Parallel zum Studium und zur Berufstätigkeit lief die Gesangsausbildung weiter. „1997 habe ich meine jetzige Lehrerin, die amerikanische Sopranistin Carol Byers, kennengelernt. Das war ein unglaublicher Glücksgriff. Sie betreut auch Künstlerinnen, die in Bayreuth auftreten und sie manchmal sogar in der Pause anrufen, um mit ihr noch schnell eine bestimmte Phrasierung durchzugehen. Mit ihr arbeite ich an all meinen Partien. Ein besseres
Coaching kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Natürlich hat Julia Kamenik inzwischen auch an zahlreichen Meisterkursen teilgenommen. Jean-Pierre Blivet, Thomas Quasthoff und Gundula Janowitz nennt sie als wichtige Impulsgeber für ihre Entwicklung. „Wie die Janowitz mit Mitte 60 morgens um 9 die Pamina zwitschert, ist phänomenal. Mozart ist ein Prüfstein für die Stimme und gehört notwendig zur Pflege dieses Instruments.“ Die Pamina und die Zerlina hat sie in Bonn bereits gesungen. In der nächsten Saison wird sie als Donna Elvira in Klaus Weises Don Giovanni und als Susanna in dessen Neuinszenierung von Le Nozze di Figaro zu erleben sein.
Erste Bühnenerfahrungen sammelte sie seit 1995 in der freien Wiener Opernszene. Das Ensemble Il diletto moderno hat sie mitgegründet. „Wir haben Madrigalkomödien im Stil der Commedia dell'Arte mit Masken und tollen Kostümen einstudiert und waren damit ziemlich erfolgreich. Wir haben in Italien, Slowenien und 2001 sogar in Beirut gastiert. Ich habe bei dieser Arbeit musikalisch viel gelernt. Vor allem: Genau auf die anderen zu hören und sich nicht selbst in den Vordergrund zu singen.“
Endgültig für das Musiktheater als Beruf hat Julia Kamenik sich erst entschieden, als sie bei mehreren internationalen Gesangswettbewerben 1999/2000 mit Anerkennungen und Preisen geradezu überhäuft wurde. Ihre Vorbehalte gegen die Operette hat sie über Bord geworfen, nachdem sie an der Wiener Kammeroper in einer Robert-Stolz-Gala gefeiert worden war und gleich für die Titelrolle in Madame Pompadour von Leo Fall ans Stadttheater Gießen engagiert wurde. In Bonn war sie die kesse Mary Lloyd in Emmerich Kálmáns Die Herzogin von Chicago und die charmante Rosalinde in der Fledermaus. Zu Beginn der nächsten Spielzeit steht die Wirtin im Weißen Rössl auf ihrem Programm. Als Cosette in Les Misérables und als Hodel in Anatevka hat sie in Bonn auch als Musical-Sängerin geglänzt. Zum ersten Mal in einem Musical mitgespielt hat sie an der Opéra national du Rhin in Straßburg, wo sie 2001/02 Mitglied des Opernstudios "Les jeunes Voix du Rhin" war. In Show Boat trat sie als muntere Tänzerin Ellie May Chipley auf. „Ich konnte eigentlich gar nicht tanzen, musste wochenlang üben, habe am Ende aber gesteppt und sogar ein Rad geschlagen.“ Das schauspielerische Handwerk hat sie sich vor allem in diesem Frankreich-Jahr angeeignet, von dem sie immer noch schwärmt.
Dem Rhein ist sie treu geblieben. Seit 2002 gehört sie zum Bonner Opernensemble. Debütiert hat sie hier als böse Schwester Clorinda in Philipp Himmelmanns Inszenierung von Rossinis La Cenerentola. Begeistert ist sie von der Möglichkeit, hier mit so unterschiedlichen Regisseuren zusammenzuarbeiten wie Dietrich Hilsdorf - nach den Händel-Oratorien Belsazar und Jephtha jetzt Glucks Orphée et Euridice (s. S. 3) - oder Werner Schroeter, der zu Beginn dieser Spielzeit mit ihr in der Titelrolle die Uraufführung von Jan Müller-Wielands Die Irre oder Nächtlicher Fischfang in der Bundeskunsthalle inszenierte. Mit Schroeter hat sie im Frühjahr in der Düsseldorfer Kunsthalle auch eine szenisch-musikalische Hommage zum 150. Todestag von Heine und Schumann unter dem Titel Die Schönheit der Schatten gestaltet. Die Helena in Benjamin Brittens A Midsummernight's Dream ist ihre nächste große Rolle in Bonn noch vor der Sommerpause. Im September steht ein Liederabend im Österreichischen Kulturforum in New York auf ihrem Programm. Sie wird dort Werke aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert präsentieren, für die sie eine besondere Vorliebe hat. Am Gründonnerstag 2007 singt sie - zusammen übrigens mit ihren beiden Partnerinnen aus Orphée, Susanne Blattert und Sigrún Pálmadóttir - die zweite Blumenmädchengruppe in einer konzertanten Aufführung von Wagners Parsifal in der Beethovenhalle. Größere Wagner-Rollen kann sie sich irgendwann mal vorstellen, aber dafür will sie sich Zeit lassen.
„Von Produktion zu Produktion weiß ich immer genauer, wie ich mit meinen Emotionen auf der Bühne umgehe und habe auch den Mut, die Stimme dem Spiel unterzuordnen. Es geht nicht nur darum, schöne Töne zu produzieren. Wenn ein Ton ein Schmerz ist, ist er eben ein Schmerz. Man muss eine Note auch mal herb nehmen, dann ist das Weiche ein viel größerer Kontrast.“ Überraschende neue Farben hat sie ihrem lyrischen Sopran in den letzten Jahren schon hinzugefügt und einen unverwechselbaren eigenen Stil gefunden.

Dienstag, 25.02.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 18.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn