Ingeborg Greiner - kultur 80 - November 2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Ingeborg Greiner: Tannhäuser und Der ferne Klang

Die szenischen Proben zu Franz Schrekers erstem großem Bühnenwerk Der ferne Klang haben bei unserem nachmittäglichen Treffen noch nicht begonnen. Dennoch ist die Sopranistin Ingeborg Greiner schon aus ihrem Hauptwohnort in der Nähe von Hamburg wieder nach Bonn umgezogen, um sich intensiv auf ihre große Partie vorzubereiten. Sie singt die zentrale Figur der armen Grete, die von dem ehrgeizigen Komponisten Fritz verlassen wird und zur Großstadtdirne verkommt. „Die Musik selbst ist Thema und Sprengstoff in dieser grandiosen Oper, das unlösbare Geheimnis des Klangs verbindet sich mit den Rätseln der Liebe.“
Ingeborg Greiner ist quasi auf dem ‚Endspurt’ bei der gesanglichen Einstudierung und arbeitet täglich etliche Stunden mit dem Korrepetitor ­Christopher Arpin und dem Studienleiter Thomas Wise. „Die Musik ist so komplex, dass wir schon bei den Klavierproben auch einen Dirigenten brauchen. Vieles kann ich natürlich zu Hause allein erarbeiten, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ist eine Woche konzentrierter Zusammenarbeit wirklich notwendig.“
Sehr gespannt ist sie auf ihre erste Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Will Humburg, der zuletzt in der Spielzeit 2009/10 bei Katja Kabanowa am Pult des Beethoven Orchesters stand und nun die musikalische Leitung des „Fernen Klangs“ übernommen hat. Mit dem Regisseur Klaus Weise arbeitete sie bereits bei ihrem Bonner Debüt 2009 als hinreißend junge, in reiner Liebe brennende Elisabeth bei Tannhäuser zusammen. „Eigentlich sollte ich damals als Gast engagiert werden; aber als man mich überraschend fragte, ob ich fest ans Bonner Opernhaus kommen wollte, habe ich zugesagt und das bisher nicht bereut. Ich habe hier wunderbare Kollegen und fühle mich in der Stadt ausgesprochen wohl.“ Seit der Spielzeit 2009/10 gehört sie nun zum Bonner Solis­ten-Ensemble.
In einer Schreker-Oper war sie hier bereits in der letzten Saison zu erleben: Irrelohe, ebenfalls in der Regie von Klaus Weise. Ihre große Sopranstimme blühte auf in der Partie der Eva. „Meine Rolle – eigentlich sind es drei Personen in einer – im ‚Fernen Klang’ ist jedoch vielschichtiger und eine riesige stimmliche Herausforderung. Das Stück ist erheblich aufwändiger als ‚Irrelohe’. Bei den Bauproben konnte ich nicht dabei sein und bin jetzt entsprechend neugierig auf die Bühne von Martin Kukulies und den Interpretationsansatz der Regie.“
Zu ihren großen Erfolgen in Bonn gehörte außerdem die Lea in der fast vergessenen Oper Der Golem von Eugen d’Albert; die CD-Aufnahme dieser aufregenden Wiederentdeckung wurde kürzlich mit einem Echo-Klassik-Preis ausgezeichnet. Viel Spaß gemacht hat ihr die Fee Fata Morgana in der Liebe zu den drei Orangen, herrlich witzig inszeniert von Philipp Himmelmann. Zahlreiche Familien haben sie auch erlebt als Mutter in der jahrelang beliebten Weihnachts-Produktion Hänsel und Gretel.
Geboren wurde Ingeborg Greiner im niederrheinischen Goch, aufgewachsen ist sie in Duisburg. Die Liebe zur Musik und zum Gesang wurden geweckt, als sie mit sechs Jahren ihren ersten Klavierunterricht bekam. Sie wirkte in Schulorchestern und verschiedenen Chören mit und machte noch vor dem Abitur ihre erste Prüfung als Kirchenmusikerin. „Bei Gottesdiensten die Orgel zu spielen, brachte ein biss­chen Taschengeld, mit dem ich mir private Gesangsstunden leisten konnte.“ Während ihres Lehramtsstudiums mit den Fächern Deutsch, Mathematik und Musik nahm sie weiter Gesangsunterricht und wagte schließlich die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Düsseldorf, die sie mit Bravour bestand. Mit Klavierstunden finanzierte sie sich Kurse bei bekannten Sängerinnen und Sängern. „Ich war lange auf der Suche nach den für mich passenden Lehrern. In Düsseldorf wollte man mich eher fürs Koloraturfach gewinnen. In Detmold fand ich dann einen Professor, der meine Stimme in die richtige Richtung lenkte.“ Hier machte sie zuerst ihr Gesangslehrerdiplom, dann ihren künstlerischen Abschluss als Opernsängerin und als eine der besten ihres Jahrgangs noch das Konzertexamen. „Ich hatte mir für meinen ersten öffentlichen Liederabend Raritäten von Korngold, Pfitzner und Schreker herausgesucht. Das frühe 20.Jahrhundert hat mich immer schon fasziniert.“
Bei der Prüfung war sie hochschwanger mit ihrer inzwischen 14-jährigen Tochter. Greiners Ehemann Matthias Minnich ist übrigens auch Opern- und Konzertsänger (Bariton) sowie Gesangslehrer und hat folglich viel Verständnis dafür, wenn seine Gattin mal für zwei Monate in Bonn weilt und ihm den größten Teil des Familienlebens überlassen muss.
Während ihres Studiums gastierte Ingeborg Greiner in verschiedenen Rollen am Landestheater Detmold und wirkte in mehreren Produktionen der Opernschule mit. Sie sang u. a. die Gräfin in Mozarts Figaro, die Fiordiligi in Così fan tutte und mehrere Partien in zeitgenössischen Werken. Schon als Studentin engagierte sie sich in einem Hochschul-Ensemble für neue Musik.
Konzertreisen führten sie danach in fast alle bedeutenden Konzertsäle Deutschlands von der Tonhalle Düsseldorf bis zur Thomaskirche Leipzig und durch halb Europa. Zu ihrem umfangreichen Repertoire gehören die Sopran-Partien in den Requien von Brahms, Dvo?ák, Mozart und Verdi (letzteres hat sie inzwischen zehnmal an verschiedenen Orten gesungen), aber auch selten gespielte Werke wie Die Legende der Heiligen Elisabeth von Franz Liszt oder Les Béatitudes von César Franck. Besonders gern erinnert sie sich an ein von der Opéra de Rouen veranstaltetes Konzert in einer ausverkauften Halle mit ca. 5.000 Plätzen. Sie sang dort den Sopranpart in Mahlers 2. und Beethovens 9. Sinfonie. Nebenbei entstanden Aufnahmen für Rundfunk, Fernsehen und CD.
Zur Oper kehrte sie beinahe zufällig zurück, weil sie ein Angebot aus Bremerhaven erhielt und nach kurzer Bedenkzeit im „Familienrat“ annahm. Drei Jahre lang war sie an der dortigen Oper fest engagiert und erarbeitete sich ein vielfältiges Rollenrepertoire von der Amelia im Mas­kenball und der Liu in Turandot bis zur Lisa im Land des Lächelns. Ihre hohe Stimme wurde mit der Zeit gewichtiger und hat jetzt die dramatische Kraft und Ausdruckstiefe für Wagner und das schwere deutsche Fach. Ihre heitere Seite wird sie in dieser Spielzeit aber auch noch zeigen als Frau Fluth in Die lus­tigen Weiber von Windsor (Premiere 6. Mai 2012).
Ihre Lehrtätigkeit an der Musikhochschule Hannover und an der Musikakademie Hamburg hat sie ungern aufgegeben, weil das mit dem Engagement in Bonn zeitlich nicht mehr zu vereinbaren war. Den Liedgesang pflegt sie weiter, um ihre Stimme geschmeidig zu halten und vor allem, „weil man da in sehr konzentrierter Form ganze Geschichten gestalten kann. Das ist feiner und subtiler als die Oper, die stets ein Abenteuer bleibt, auf das man sich mit seiner ganzen Persönlichkeit kompromisslos einlassen muss. Auf der Konzertbühne steht man immer unter direkter Beobachtung; auf der Theaterbühne darf man Rollen spielen und Leidenschaften ausleben. Außerdem mag ich die Team-Arbeit und die gemeinsame Entwicklung von Situationen.“ Rück­zugsgebiete braucht sie nach anstrengenden Probentagen und Vorstellungen freilich auch und hat gerade eine kleine Wohnung in Holzlar gefunden, wo sie Wald und Wiesen für lange Spaziergänge direkt vor der Haustür hat und genügend Platz, um ihre Familie auch mal nach Bonn einzuladen.

Donnerstag, 16.02.2012

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