Helga Bakowski - kultur 76 - Mai 2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Helga Bakowski: Rose, Bachmann, sechs Tanzstunden und Dürrenmatts „Alte Dame“

Die Schauspielerin mit der auffälligen hellblonden Pagenfrisur und den strahlend blauen Augen gehört seit mehr als dreißig Jahren zum festen Stamm am Euro Theater Central. Ihre selbstverständliche Eleganz hat Helga Bakowski aus Wien mitgebracht, wo sie 1946 als Tochter einer Opernsängerin und eines aus der Zirkusfamilie Althoff stammenden Vaters zur Welt kam. Theaterblut hatte sie also schon in den Adern. Richtig gefunkt hat es, als sie in den 1960er Jahren Heidemarie Hatheier am Burgtheater als Medea in Grillparzers Goldenem Vlies sah. „Ich fand diese Intensität unglaublich und dachte: So möchte ich die Menschen auch berühren können.“
Nach dem Abitur begann sie ein Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft (u. a. bei dem Kulturhistoriker Heinz Kindermann), das ihr aber bald zu trocken und akademisch erschien. Sie wollte Theater machen und absolvierte eine Ausbildung an einer privaten Wiener Schauspielschule. Zu ihren Lehrerinnen gehörte Luise Prasser, die Mutter von Christoph Pfeiffer, der inzwischen regelmäßig am Bonner Theater „Die Pathologie“ Regie führt. Nach dem Abschluss ihres Studiums 1970 folgten in Wien erste Engagements an der „Kleinen Komödie“, am „Theater der Jugend“ und in Graz beim Kabarett „Die Tellerwäscher“. Zum Überleben reichten die Gagen dort nicht, so dass sie verschiedene Jobs beim ORF übernahm und in etlichen Hörspielen mitwirkte. Später hat sie auch beim RIAS in Berlin gearbeitet und stand in den 1990er Jahren bei der RTL-Serie „Scheidungsgericht“ und der SAT1-Serie „Geliebte Schwestern“ vor der Kamera. „Fernsehen hat mich aber nie wirklich interessiert. Man hat dort kaum die Möglichkeit, künstlerische Prozesse entstehen und reifen zu lassen. Zum Spannendsten beim Theater gehören die Proben, bei denen man gemeinsam mit den Kollegen und der Regie nach langen Überlegungen etwas vereinbart und das dann in vielen Aufführungen immer frisch halten muss.“ In und mit einer Rolle Jahrzehnte in der ewigen Hölle zu verbringen, ist freilich ein Sonderfall. Seit 1982 war Helga 27 Jahre lang in über 800 Vorstellungen die Estelle in Sartres Geschlossene Gesellschaft am Euro Theater Central. Die Inszenierung von Theatergründer Claus Marteau läuft dort immer noch, allerdings seit 2009 in neuer Besetzung.
Marteau holte Helga Bakowski 1978 an seine Bühne für die bitterbösen Zwei-Frauen-Komödie Die Aufgabe des österreichischen Dramatikers Hans Krendlesberger. 1975 war sie nach Deutschland gezogen und bis 1977 festes Ensemblemitglied des Landestheaters Kleve-Dinslaken. Die Erna in Horváths Kasimir und Karoline, die Frosine in Molières Der Geizige und die Minnie in Die Schwiegertochter von D.H. Lawrence waren ihre ersten großen Rollen. In Kleve lernte sie ihren Mann kennen, einen Bonner Ministerialbeamten, mit dem sie seit 1978 verheiratet ist. Seitdem arbeitet sie als freiberufliche Schauspielerin. Sie spielte in den 1970er Jahren viel an der Neuwieder „Landesbühne Rheinland-Pfalz“ und am Aachener „Grenzlandtheater“,1980 war sie im Kölner Theater „Der Keller“ die Helena in Osbornes böser Gesellschaftsabrechnung Blick zurück im Zorn.
In den 1980er Jahren wurde das Euro Theater Central immer mehr ihre künstlerische Heimat. 1983 spielte sie hier die Gnädige Frau in Genets Zofen, 1991 in der Regie von Gisela Pflugradt die Elisabeth in Maria Stuarda von Dacia Maraini. Zu ihren Glanzrollen gehörten die amerikanische Politikerin Deborah (deutlich erkennbares reales Vorbild: Hillary Clinton) in Esther Vilars Das Lächeln des Barrakuda und Marleni in dem gleichnamigen Stück von Thea Dorn über Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl. Die Marleni-Inszenierung von Christoph Pfeiffer wurde vom Kölner „Horizont-Theater“ übernommen, 2004 für den Kölner Theaterpreis nominiert und diente sogar als Bildmotiv für die Kölner Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt. „Tolle Foto-Collage in der ‚Kölner Rundschau’: Ich als Marlene mit Daniel Barenboim im Hintergrund – das hab ich mir aufbewahrt.“
Helga trat in den von Horst Jürgen Winkel, dem langjährigen Pressereferenten im Bundeskanzleramt, konzipierten „Bonner Histörchen“ auf und erarbeitete literarische Programme mit dem Düsseldorfer „Theater Überall“, wie Heine und die Frauen oder Brecht und die Frauen. Unvergesslich bleibt die szenische Lesung aus Briefen von Verehrerinnen an Adolf Hitler, die unter dem Titel Liebesbriefe in den Tod auch am Euro Theater gastierte. Solche Doku-Theater-Arbeiten faszinieren sie. „Ich kann ja die Wirklichkeit nicht in der Garderobe abgeben. Auf der Bühne hat man als Schauspielerin nur sich selbst als Werkzeug, kann aber mit fremden Texten unglaublich viel unmittelbar präsent machen.“ Derzeit tut sie es z.B. in Herzzeit in der „Pathologie“, deren Intendantin Maren Pfeiffer mit ihr und Martin Maria Vogel den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan eindrucksvoll inszeniert hat (s. Kritik auf kultur-S. 7). Mit M.M. Vogel spielte Helga zum ersten Mal 1987 im Euro Theater in dem Stück Sommer in Nohant von Rolf Schneider in der Regie von Claus Marteau. Es ging um die komplizierte Liebesgeschichte zwischen der Schriftstellerin George Sand und dem Komponisten Frédéric Chopin.
Seit der Jahrtausendwende und der Gründung der „Pathologie“ hat Helga mehr zu tun als je zuvor. „Möglicherweise liegt’s daran, dass ich nie der Typ ‚Jugendliche Naive’ war, sondern immer schon irgendwie alt. Komplexe weibliche Charakterrollen passten stets gut zu meinem Lebensgefühl.“ Dürrenmatts wütende „Alte Dame“ z.B., die sie im Kölner „Horizont“ seit 2007 in der Regie von Pathologie-Mitbegründer Reinar Ortmann etwa 150 Mal erfolgreich verkörpert hat. Zum 100. Mal wird sie Ende April im Euro Theater die Seniorin Lily sein, die in Sechs Tanzstunden in sechs Wochen (Regie: Peter Tömöry) Lebenslust mit Lebenserfahrung kombiniert.
In Heiner Müllers Quartett war sie die virtuose Intrigantin Merteuil, in Mishimas Madame de Sade die brillante Zynikerin Montreuil. Wunderbar zart und energisch ist sie aktuell zu erleben in Rose und Walsh als Dramatikerin Rose, die ihrem verstorbenen Gatten eisern die Treue hält und dabei auch ein eigenes Geheimnis zu Tage bringt. In der „Pathologie“ spielte sie die knallharte Präsidentin in dem Politkrimi Widersacherinnen und ist derzeit dort zu sehen als kaltblütige Konzernchefin in Contractions / Nachwehen (beide Zweifrauen-Stücke mit ihrer Freundin Maren Pfeiffer als jüngerer Gegenspielerin) sowie extrem sensibel als Dichterin Ingeborg Bachmann, die 1973 in Rom am eigenen Feuer verbrannte.
Helga hält es mit dem großen französischen Regisseur Jean-Louis Barrault: „Das Theater ist das erste Serum, das der Mensch gegen die Angst erfunden hat. Spielend kann man kämpfen gegen die alltäglichen Sorgen. Auf der Suche nach der Kunst verliert man allerdings leicht das Thema. Auf der Suche nach dem Thema findet man die Kunst.“ An Themen mangelt es Helga gewiss nicht. Wenn sie und ihr Gatte sich von Bonn loseisen können, fahren sie nach Wien, wo sie ihren Zweitwohnsitz haben und gern in der dortigen Theaterszene neue Ideen sammeln.

Donnerstag, 29.12.2011

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