Günter Alt - kultur 11 - 11/2004

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Günther Alt - Der teuflische Dr. Caligari und der Gangsterboss Arturo Ui

Günter Alt kommt gerade vom Mord an Ernesto Roma. Die 11. Szene aus Bertolt Brechts "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" wurde heute im Alten Malersaal geprobt. Exakt vier Wochen sind es an diesem Nachmittag noch bis zur Premiere in den Kammerspielen. Alt, der die Titelrolle spielt, strahlt eine gespannte Gelassenheit aus. „Gerade wo jetzt der Film ‚Der Untergang' mit Bruno Ganz als Hitler in die Kinos gekommen ist, wird es schwierig, dieses eminent politische und zum Teil sehr thesenhaft formulierte Stück neu zu reflektieren und Fleisch an die großartige, rhythmisch komplexe Sprache zu packen. Brecht beobachtete die Ereignisse in Deutschland und den Krieg ja aus der Distanz seines finnischen Exils und war schon halb auf dem Weg in die USA. Klar, die historischen Figuren (hinter Ernesto Roma verbirgt sich natürlich der 1934 ermordete Hitlerweggenosse Ernst Röhm und hinter Arturo Ui Adolf Hitler selbst) sind deutlich erkennbar. Aber es kann in der Aufführung nicht nur um eine Illustration der Nazi-Geschichte gehen. Es ist ein Krimi um Macht und die Faszination der Gewalt."
Günter Alt gehört seit 2003 zum Schauspielensemble am Theater Bonn und hat in der Halle Beuel als dämonischer Dr. Caligari in der eigenwilligen Bühnenversion des berühmten expressionistischen Films seinen Einstand gegeben, eine Rolle, die viel mit Brechts verbrecherischem Diktator zu tun hat. Die ausgefeilte Bewegungsregie bei "Caligari" hat ihm auch körperlich einiges abverlangt. Günter Alt lacht: „Nein, der ausgesprochen sportliche Typ bin ich nicht. Mein Taillenumfang, der vor zwanzig Jahren schon ähnlich war, hat mich auch nicht gerade zum strahlenden Helden oder jugendlichen Liebhaber prädestiniert." Sein Bonn-Debüt war der "Caligari" übrigens nicht: Schon 1993 war er als Gast in Maxim Gorkis düsteren "Barbaren" (Regie: Jaroslav Chundela) in den Kammerspielen zu sehen.
Geboren wurde er 1961 in dem hessischen Dorf Büdingen. Auf dem Gymnasium hat er seine Liebe zum Theater entdeckt, in katholischen Jugendgruppen und Schultheater-AGs, in Chören und Orchestern mitgewirkt und sogar eine Tanzgruppe als Choreograph geleitet. Als Zuschauer machte er seine ersten Erfahrungen in Frankfurt am Main. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm von dort neben Barlachs "Der arme Vetter" Shakespeares "Was ihr wollt" mit Tanja von Oertzen als Viola: „Es war toll, sie dann in Oberhausen und jetzt in Bonn als Kollegin wieder zu treffen."
Noch als Schüler brillierte er in der Titelrolle von Dürrenmatts "Romulus der Große"; die Produktion wurde zu einem hessischen Schultheatertreffen nach Gießen eingeladen. Dass viele ihm danach zum Schauspielerberuf rieten, hat er trotzdem nicht ganz ernst genommen und sich nach dem Abitur mehr aus Jux an der Schauspielschule Saarbücken beworben - damals noch ein der Uni angeschlossenes sehr renommiertes Institut. Man nahm ihn gleich nach dem ersten Vorsprechen auf. Seine Eltern waren nicht sonderlich begeistert, und nach dem erfolgreichen Abschluss 1986 - „Ich hatte in Saarbrücken tolle Lehrer und konnte mir auch meinen hessischen Dialekt abgewöhnen" - sah es erst mal nicht überwältigend aus. Neben kleineren Gastengagements musste ein Kellnerjob in einer Saarbrücker Kneipe den Lebensunterhalt sichern. Der
damalige Darmstädter Oberspielleiter Jens Pesel holte ihn jedoch bald an sein Theater. „Gut, da habe ich vor meinem ersten festen Engagement so ziemlich alles Gemüse und alle Tiere in den Weihnachtsmärchen gespielt, aber auch meine erste Brechtrolle in ‚Der gute Mensch von Sezuan' und dann immer größere Rollen in Klassikern wie Kleists ‚Der zerbrochne Krug' oder Horváths ‚Geschichten aus dem Wienerwald' und Musicals wie ‚Der kleine Horrorladen'." Als Klaus Weise 1989 als Schauspieldirektor nach Darmstadt kam, musste Günter Alt sich seinen Platz neu erobern, auch wenn er sich als Typ schon bemerkenswert etabliert hatte. Daraus entstand eine bis heute andauernde intensive Arbeitsbeziehung. Zum 50. Geburtstag seines Intendanten konnte er 2001 locker sagen: „Wahrscheinlich hat's nur seine Frau Johanna länger mit ihm ausgehalten als ich."
Als Weise 1991 als Intendant nach Oberhausen ging, folgte Alt ihm sofort und gehörte zu den Gründungsmitgliedern des dortigen neuen Schauspiels. „Es war nicht einfach, dort ein dezidiert modernes Theater zu vermitteln, aber in zwölf Jahren haben wir ja erfolgreich gemeinsam etwas aufgebaut." Gespielt hat er in Oberhausen bis zum Umfallen in zahllosen Produktionen; seine persönlich liebsten Rollen waren Franz Moor in Schillers "Die Räuber" und ganz besonders Shakespeares "Hamlet". „Beide entsprechen vielleicht erst auf den zweiten Blick meiner Statur, haben aber sehr viel mit mir zu tun." Riesenspaß haben ihm dort aber auch die musikalischen Arbeiten gemacht. Er hat in allen Revuen mitgewirkt, spielt Akkordeon und etliche Blasinstrumente. Wie gut er singen kann, hat er in Bonn in "Call my Number" bewiesen. Sein ironischer "Sledgehammer" bohrte sich in die Ohren.
In dem aus Oberhausen übernommenen Shakespeareschen "Wintermährchen" war er als alter Schäfer präsent, in den hervorragenden "Jagdszenen aus Niederbayern" von Martin Sperr als Knecht Georg. Aber es sind eher nicht die bodenständigen, sondern die vielschichtigen, schmerzhaft widerständigen Figuren, die den sensiblen Schauspieler interessieren. Und immer wieder die Musik, die ihm sein neuer Arbeitsort ja opulent bietet. „Schade, dass die Proben zu ‚Arturo Ui' mir so wenig Zeit lassen, beim Beethovenfest zuzuhören." Es ist übrigens nach dem "Guten Menschen", der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe" und der "Dreigroschenoper" sein vierter Brecht - und zweifellos sein schwierigster.
Was ihm an Bonn gefällt? „Der Rhein natürlich; Städte an großen Flüssen haben mich immer fasziniert." Am Bonner Theater? „Dass ich zum ersten Mal Sparten übergreifend arbeiten kann; dass hier die Kollegen von Oper, Tanz und Schauspiel gemeinsame Projekte entwickeln können." Am Bonner Publikum? „Es hört und schaut sehr genau hin und interessiert sich für unsere Arbeit. Dass man auf der Straße spontan erkannt und angesprochen wird, habe ich so bisher noch nicht erlebt. Ich wünsche mir jedoch noch etwas mehr Mut, sich auf zeitgenössische Stücke einzulassen."
Günter Alt experimentiert gern und lustvoll mit seiner Stimme, seinem Körper und vor allem mit neuen Gedanken.

Dienstag, 25.02.2014

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