George Oniani - kultur 62 - Januar 2010

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft George Oniani: Riccardo, Rodolfo und der Herzog im Rigoletto

Am frühen Morgen ist er aus Riga zurückgeflogen, wo er am Abend zuvor den Riccardo in Verdis Maskenball gesungen hat. Am Spätnachmittag steht in Beuel eine Probe zu Puccinis La Bohème auf seinem Terminplan. Bei der Wiederaufnahme von Dietrich Hilsdorfs gefeierter Inszenierung wird er sein Bonner Debüt als Dichter Rodolfo geben. Zwischendurch findet George Oniani vollkommen entspannt Zeit für ein Gespräch in der Hausbar. Den Riccardo hatte er u. a. schon in Tiflis und Rio de Janeiro gesungen, als er sich zu Beginn der Spielzeit 2008/09 mit dieser psychologisch komplexen Rolle als neues Ensemblemitglied dem Bonner Opernpublikum vorstellte. Großartig präsentierte er sich kurz danach als zwischen Macht und Liebe schwankender Maurizio in der konzertanten Aufführung von Francesco Cileas Adriana Lecouvreur und sang später sehr überzeugend den dionysischen Hirten in Karol Szymanowskis Król Roger.
Geboren wurde Oniani 1974 in der nordgeorgischen Provinzstadt Lentekhi. „Mein Großvater war Sänger und Chorleiter; meine Mutter war ein totaler Opernfan. Sie hatte eine riesige Schallplattensammlung und konnte zahllose Arien auswendig. Den ganzen Tag hörte ich zu Hause klassische Musik, was mich irgendwann ziemlich nervte. Wie jeder kleine Junge interessierte ich mich mehr für Sport und Technik. Meine Mutter schickte mich auf eine Musikschule, bis ich nach vier Jahren den Unterricht verweigerte. Sie arbeitete übrigens bis zu ihrer Pensionierung als Deutschlehrerin, und ich freue mich sehr, dass meine Eltern in ein paar Tagen zum ersten Mal in ihrem Leben nach Deutschland kommen, um mich in der Bonner ‚Bohème’ zu sehen und zu hören.“
Oniani besuchte eine Schule für Hochbegabte im Bereich Physik und Mathematik und studierte danach an der Universität der georgischen Hauptstadt Tiflis Ingenieurwissenschaft mit dem Schwerpunkt Mechanik. „Im Theater war ich während der Zeit kaum. Kurz vor dem Examen habe ich bei einer Geburtstagfeier einfach aus Spaß ein Lied gesungen. Der bekannte Popsänger Georgy Natsvlishvili war zufällig dabei und sagte mir sofort: ‚Gott hat dir diese Stimme geschenkt; du musst sie unbedingt ausbilden lassen.’ Ich hatte zwar überhaupt keine Lust auf ein Musikstudium, sang dann aber doch an der Oper bei dem Tenor Valeriano Gamghebeli vor – er arbeitet inzwischen in Barcelona. Er meinte, dass ich Sänger werden müss­te, nahm mich einen Monat lang mit zu allen Proben und Vorstellungen und hat mich dabei regelrecht vergiftet. Beim Konzert zum 20. Bühnenjubiläum von Alexander Khomeriki, bei dem ich zum ersten Mal mitsingen durfte, habe ich gespürt, wie viel Liebe vom Publikum kommen kann. Da hat es mich endgültig gepackt.“
Oniani nahm also privaten Gesangsunterricht, studierte am Staatlichen Konservatorium Tiflis (als seinen wichtigsten Lehrer nennt er den Tenor Nodar Andguladze), schloss nebenbei erfolgreich sein Ingenieurstudium ab und machte 2001 mit Auszeichnung sein Diplom als Sänger. Einer seiner Studienfreunde war übrigens der Bass Ramaz Chikviladze, der inzwischen sein Kollege im Ensemble der Bonner Oper ist.
Bereits während seines Musikstudiums sang Oniani an der Oper Tiflis den Herzog im Rigoletto, den Alfredo in La Traviata und den Cavaradossi in Tosca. Sofort nach seinem Examen bekam er einen der begehrten Plätze für ein Aufbaustudium an der Hochschule für Musik und Theater in München. Und exmatrikulierte sich schon nach zwei Monaten, um nach Mailand zu ziehen. Denn die Scala hatte einen internationalen Wettbewerb um zwei Stipendien für ihre „Accademia di perfezionamento per cantanti lirici“ ausgeschrieben. Eins gewann der junge georgische Tenor Oniani, der von seiner Mailänder Zeit, den vielen tollen Erfahrungen mit berühmten Sängern und Dirigenten und den diversen Meisterklassen immer noch schwärmt. „In Mailand habe ich das italienische Fach, in dem sich meine Stimme entfalten konnte und sich bis heute am wohlsten fühlt, gründlich gelernt. Ich wechsle möglichst regelmäßig zwischen lyrischen und dramatischen Partien. Eine Stimme muss vorsichtig reifen; deshalb möchte ich mir für einige Rollen noch Zeit lassen. Der Herzog im ‚Rigoletto’ ist gesanglich eine große Herausforderung, zumal die visuelle Dominanz in der Bonner Inszenierung die Arbeit nicht leichter macht.“
Sein europäisches Operndebüt gab Oniani 2002 an der Mailänder Scala in der großen Rolle des Riccardo in Verdis Frühwerk Oberto, Conte di San Bonifacio. 2003 folgte am selben Haus die Titelrolle in Donizettis Ugo, Conte di Parigi. Er gastierte an zahlreichen italienischen Opernhäusern zwischen Genua und Catania, erarbeitete sich ein umfangreiches Rollenrepertoire, wirkte nach dem Ende seiner Ausbildung in Mailand an zahllosen Opernaufführungen und Konzerten in ganz Europa, in Asien und Südamerika mit und gewann mehrere Preise.
Seit 2004 ist er ständiger Solist an der Oper Tiflis. Denn nach der so genannten „Rosenrevolution“ 2003 bat der georgische Staatspräsident Saakaschwili seine im Ausland wissenschaftlich und künstlerisch erfolg­reichen Landsleute, sich auch im eigenen Land zu engagieren. „Ich liebe mein Heimatland, auch wenn ich politisch nicht mit allem einverstanden bin. Außerdem wurde in Georgien vor über 2000 Jahren die Polyphonie erfunden. Unsere Jahre alte Musik (in Georgien wird überall gesungen, und natürlich reise ich dort gern herum, um mit den Leuten in den Dörfern zu singen) ist von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Neben Beethovens 9. Sinfonie ist ein georgisches Volkslied von der NASA als wichtiges Dokument der Kultur unseres Planeten in den Weltraum geschickt worden.“
Zurück zur Erde: Als Oniani am Pfalztheater Kaiserslautern 2007 sein Deutschlanddebüt als Manrico in Verdis Trovatore gab (Regie übrigens: Bruno Berger-Gorski, der jetzt für den umstrittenen Rigoletto verantwortlich ist), war das Talentsucher-Team der Oper Bonn ihm schon auf der Spur. Jetzt ist er zum ersten Mal fest in einem Ensemble engagiert. Aktuell kämpft er, der natürlich fließend russisch spricht, mit dem Tschechischen. Denn im Mai hat Janaçeks Katja Kabanova in der Regie von Johannes Schaaf Premiere; Oniani wird den Boris verkörpern.
Mit fast allen großen Verdi- und Puccini-Tenorpartien, dem Pollione in Bellinis Norma und dem Don José in Bizets Carmen war er an etlichen renommierten Häusern zwischen Amsterdam, Catania und Vilnius zu Gast und hat viele Erfahrungen mit berühmten Dirigenten und verschiedenen Regiestilen gesammelt. „Jede Oper hat ihren eigenen Schlüssel; an machen Schlössern muss man wie ein professioneller Mechaniker arbeiten und weiß dann immer noch nicht, ob man die Haupttür oder nur ein Fenster geöffnet hat.“ Seine Einsichten gibt er gern an jüngere Kollegen weiter: „Kürzlich habe ich ohne Gage der 25-jährigen Anita Rachvelishvili als Don José assistiert. Am 7. Dezember wird die fabelhafte georgische Mezzosopranistin bei der Saisoneröffnungs-Premiere der Scala als Carmen debütieren. Ich bin sehr stolz auf sie und werde mir’s nachts gleich im Internet anschauen.“ Calafs „Nessun dorma“ aus Puccinis Turandot beschäftigt den georgischen Weltbürger derzeit ohnehin.

Dienstag, 25.02.2014

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