Evez Abdulla - kultur 100 - November 2013

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Evez Abdulla: Protector, Scarpia und ehemaliger Chefkoch

Wie genau er mit Messern umzugehen weiß, beweist der Bariton in der Oper Written on Skin (s. kultur-Kritik S. 3). Evez Abdulla hat das Küchenhandwerk nämlich von der Pike auf gelernt in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, wo er 1976 zur Welt kam. Das Land gehörte damals noch zur Sowjetunion, Amts- und Schulsprache war Russisch. „Zu Hause sprachen wir Aserbaidschanisch, das sehr viel Ähnlichkeit mit dem Türkischen hat“, erklärt Abdulla und bestellt seinen Apfelsaft im Restaurant „Opera“ problemlos in der Muttersprache der dortigen Kellner. Er kommt gerade von einer Probe zu Tosca (Premiere ist am 3. November), wo er den Scarpia singt. Die Partie hat er auch schon am Staatlichen Akademischen Opern- und Ballett-Theater von Aserbaidschan in Baku verkörpert. „Dieses 1911 eröffnete wunderschöne Haus ist das älteste im Orient und pflegte von Anfang an das klassische italienische Repertoire. Hier begann mit dem Komponisten Uzeyir Hadjibeyov aber auch die eigene volksnahe Musiktheatertradition von Aserbeidschan.“
Klassische europäische Musik spielte in der Familie von Evez Abdulla keine Rolle. Er absolvierte nach dem Schulabschluss ein fünfjähriges Studium als Flugzeug-Ingenieur. „Jet-Pilot wäre ich fast geworden, fiel aber beim medizinischen Test durch. Dafür fiel meine Stimme auf. Ich wurde Solist beim Staatlichen Militär-Orchester, wo ich viele Lieder moderner nationaler Komponisten sang“. Die politischen Veränderungen Anfang der 1990er Jahre, der Zusammenbruch der Öl-Industrie und die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region brachten den überzeugten Pazifisten auf eine völlig andere Spur. Er begann eine Ausbildung bei einem großen asiatischen Restaurant in Baku, wurde Sushi-Meister und nach zwei Jahren Chefkoch. „Außerdem beschäftigte ich mich viel mit Meditation, nahm am von Sri Sri Ravi Shankar gegründeten UN-Programm ‚Art of Living‘ teil und überlegte, mich in Indien humanitären Aufgaben und der Spiritualität zu widmen. Beim Kochen hörte ich allerdings ständig Musik. Vor allem italienische Opern mit Caruso und anderen Stars der Vergangenheit. Ich sang das alles begeistert mit. Das war wie ein Virus. Als mir dann mein Mantra-Lehrer sagte. ‚Du musst was mit deiner Stimme machen‘, habe ich mich bei der Musik-Akademie beworben, was alle meine Freunde ziemlich verrückt fanden.“ Zwei Jahre später war er bereits leitender Solist am Opernstudio.
Nach dem Diplom wurde er 2005 sofort an der Oper von Baku fest engagiert und gehörte im selben Jahr zu den Preisträgern des renommierten internationalen Byulbyul-Gesangswettbewerbs, benannt nach dem ers­ten großen Sänger aus dem muslimischen Kulturkreis, der die Opernwelt von Mailand bis Moskau begeis­terte. Der aserbaidschanische Tenor Memedov (1897 – 1961) wurde unter dem Künstlernamen Bülbül (= türkisch: Nachtigall) bekannt und sang viele große Rollen wie z.B. den Herzog in Rigoletto. Diese Oper zählt Evez Abdulla zu seinen Lieblingswerken und hat die Titelrolle inzwischen in Baku und Astrachan gesungen. 2007 erhielt er den Preis des Präsidenten von Aserbaidschan und den Ehrentitel „Künstler des Volkes“.
„Beim ,Eurovision Song Contest’ 2012, als plötzlich ganz Europa auf meine Heimatstadt schaute, war ich nicht dabei“, sagt er und lacht. Im November 2012 war jedoch Christian Firmbach, Künstlerischer Betriebsdirektor der Oper Bonn, Mitglied der Casting-Jury beim „Singers Fair“ in Baku und sofort überzeugt von Evez Abdulla. „Bevor uns den jemand vor der Nase wegschnappt“, sagte er seinem zukünftigen Chef Dr. Bernhard Helmich, „sollten wir ihn nach Bonn holen“. Kurz danach war der Vertrag unterschrieben.
Firmbachs Sorge war nicht unberechtigt, denn im Oktober 2012 feierte Abdulla einen großen Erfolg in der Titelrolle von Verdis Macbeth an der Oper Lyon. Diese Rolle hatte er zuvor schon in Bratislava und Brno gesungen und wird sie demnächst in Ravenna verkörpern, wo Cristina Mazzavillani Muti (Gattin von Riccardo Muti) im November 2013 ein Festival mit Verdis Shakespeare-Opern inszeniert. Abdulla pendelt deshalb im Oktober zwischen Italien und Deutschland. Im Januar gastiert er an der Komischen Oper Berlin als Ruprecht in Prokofjews Oper Der feurige Engel und probt in Bonn Aida. Hier singt er den äthiopischen König Amonasro, bevor er im Mai Premiere hat als Athanaël in Massenets Thaïs.
Bedeutende Verdi- und Puccini-Partien sang er in den tschechischen Städten Brno und Ostrava, als Vater Germont in La Traviata gas­tierte er beim Glyndebourne Festival. Besonders gefallen hat ihm die Arbeit mit dem Dirigenten Mikhail Pletnew in Lyon bei den relativ unbekannten Rachmaninow-Opern Aleko und Monna Vanna. Ein begehrter Konzertsänger ist er auch, interessiert sich aber mehr für die Bühne. „Richtigen Schauspielunterricht hatten wir an der Akademie in Baku kaum, aber eine wunderbare alte russische Chefregisseurin, die uns klar machte, dass Oper dramatisch ist. Alles, was jemand tut, muss begründet sein. Die Zuschauer wollen respektiert werden und eine glaubwürdige Performance erleben. Also nicht nur eine schöne Stimme hören, sondern Emotionen mitfühlen.“
Dass Abdulla sein Bonner Debüt in einer Oper des 21. Jahrhunderts geben würde, stand beim Vertragsabschluss fest. „Die Protector-Partie habe ich in Baku einstudiert, bevor ich nach Bonn kam. Ehrlich gesagt, hätte ich sie beinahe wieder aufgegeben. Es ist meine erste moderne Oper, die Partitur hat sich mir erst bei den Orchester-Proben wirklich erschlossen. Vorher hatte ich große Zweifel, wie ich das sängerisch gestalten könnte. Aber dann hörte ich die phantastische Vielfarbigkeit und fand ganz schnell meine Rolle in diesem merkwürdigen musikalischen und erzählerischen Puzzle. Außerdem war die Arbeit mit dem Inszenierungsteam und den Ensemble-Kollegen eine wahre Freude.“
Zeichnen und Malen gehört übrigens auch zu den Hobbys des vielseitig begabten Künstlers. „Als ich den Marcello in ‚La Bohème’ spielte, fragte mich die Regisseurin, ob ich auf der Bühne live ein Bild produzieren könnte. Ich habe während der Vorstellung einen leeren Rollstuhl für ein gehbehindertes Mädchen aus dem Kinderchor gemalt. Sie schrieb mir danach, dass es ihr große Hoffnung gemacht habe, bald wieder laufen zu können. Das hat mich sehr berührt.“
Abdullas Gattin ist Organistin und war seine Solfeggio-Lehrerin an der Musikakademie. Sie lebt mit dem neunjährigen Sohn und der sechsjährigen Tochter in Baku. So oft wie möglich fliegt Abdulla deshalb zurück ans kas­pische Meer und freut sich immer darauf, wieder für die ganze Familie zu kochen.

Dienstag, 03.12.2013

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