Bernd Braun - kultur Nr. 19 - 7/2005

„Ich bin nicht der Typ, mit dem man gleich nach der Vorstellung ein Bier trinken möchte“, sagt Bernd Braun in der Hausbar. „Mein Kontakt mit dem Publikum findet seit einem guten Vierteljahrhundert zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum statt. Ansonsten bleibe ich lieber auf Distanz.“ Everybody's Darling mag der große kräftige Schauspieler mit dem markanten Gesicht und dem fast kahlen Schädel nicht sein. „Mir geht es vor allem darum, dass im Theater klar gedacht wird und dass man was versteht - die Sprache natürlich, aber auch das, was da warum verhandelt wird. Ich war jahrelang Ensemblevertreter an verschiedenen Bühnen und bei vielen Vorsprechen dabei. Die jungen Kollegen aus dem Osten wussten und konnten eine Menge, allein es fehlte der Glaube; die aus dem Westen fühlten alles, aber man wusste nicht, was sie wollten. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte und ist auf der Bühne ständig zu beweisen.“ Haltung ist für ihn ein zentraler Punkt: „Gerade wo so viele Moralbegriffe korrumpiert und beliebig geworden sind, kann es nicht um irgendein Sich-Verhalten zu irgendwas und irgendwem gehen, sondern muss man wenigstens im Theater noch Haltung zeigen. Das hat mit meiner sozialen Verantwortung und der meiner Figuren auf der Bühne zu tun und mit ethischen Grundsätzen, auch wenn die manchmal gern belächelt werden.“
Besonders fasziniert hat ihn deshalb auch die Rolle des Politikers Fermoy Fitzgerald in "Ariel" von Marina Carr. „Dieses biblische In-sich-Aufnehmen des Leidens an der Zeit, diese ganz archaische Bereitschaft zum Opfer und diese merkwürdige Deformation dieser Menschenseele auf der Suche nach einer Utopie - das hat mich sehr beschäftigt. Außerdem bewundere ich die sprachliche und gedankliche Radikalität gerade der jungen angelsächsischen Autorinnen.“
Im Moment laufen die Endproben zu Ödön von Horváths spätem Drama "Der jüngste Tag", in dem er die Hauptfigur spielt, den Stationsvorsteher Thomas Hudetz. „Das ist eine aufregende Rolle. Es fängt für Hudetz so selbstverständlich an und endet nach einer kurzen Begegnung mit der jungen Anna in einer Katastrophe und dem argen Weg der Erkenntnis. Man kommt nicht mehr zurück, wenn man wie Hudetz einmal in den Apfel gebissen hat und in den Abgrund des eigenen Versagens blicken muss." Gespielt hat er bereits in einigen Stücken von Horváth: den Chauffeur Karl in "Zur schönen Aussicht" (in Konstanz) und den Rittmeister in "Geschichten aus dem Wiener Wald" (in Oberhausen).
Viel herumgekommen ist er ohnehin, aber das gehört für ihn zur „Bewegung und zum Blut-Austausch eines lebendigen Theaters, setzt Energien frei und ist auch ein Gradmesser, ob man diesen Beruf zu Recht gewählt hat". Dennoch: „Umzüge sind ein Trauma. Deshalb lasse ich jetzt umziehen, packe ein paar Sachen und beauftrage mit dem Rest ein Profi-Unternehmen."
Geboren wurde Bernd Braun 1954 in Berlin, genauer in Treptow. „Nach 1961 gehörte die Mauer buchstäblich zu unserem Haus, das sich zum spektakulären Fluchtort entwickelte. Eine Nachbarin flog direkt an mir vorbei in ein westliches Sprungtuch. 1965 wurde das Haus dann auf staatliches Geheiß abgerissen.“ Die Familie hatte mit Kultur nicht viel zu tun, der Vater war Maschinenbauingenieur. Der Sohn landete nach dem Militärdienst bei der Suche nach einem Überbrückungsjob bis zum geplanten Geschichtsstudium als Bühnenarbeiter bei der damals von Benno Besson geleiteten Volksbühne. Er vergaß dann beim Zuschauen gelegentlich seine praktischen Pflichten und bewarb sich 1977 erfolgreich an der Staatlichen Schauspielschule Berlin, die 1981 in "Hochschulschule für Schauspielkunst Ernst Busch" umbenannt wurde. Da hatte Braun seine Ausbildung aber schon beendet. „Mein Abschlusszeugnis bescheinigt mir die Qualifikation als ‚Facharbeiter für Schauspielkunst' mit Noten in Marxismus-Leninismus, Kulturpolitik und Russisch neben den üblichen Fächern wie Sprecherziehung, Fechten und Akrobatik. Ich gehöre also nachweislich zum Dienstleistungsgewerbe.“ Bernd Braun grinst über seinen Brillenrand und sagt das mit seiner unwiderstehlichen listigen Ironie, mit der er sich in der DDR dann auch bald unbeliebt machte. Sein Schauspielschuldirektor Hans-Peter Minetti schickte den unbequemen Absolventen zur Bewährung nach Zwickau. Braun: „Ehrlich gesagt, zu dieser Zeit nicht gerade mein Traum-Ort, obwohl dort immerhin 1930 auch Inge Meysel debütierte“. Er sprach mit Kleists "Prinz von Homburg" vor („leider habe ich diese Rolle nie in meinem Leben bekommen“) und spielte in einem Jahr gleich 11 große Rollen. Die nächste Station war Schwerin unter der Intendanz von Christoph Schroth.
Nach viel Theater, Film und Fernsehen stellte er 1984 einen Ausreiseantrag in die BRD und bekam zu seiner eigenen Verwunderung ziemlich schnell die Genehmigung. Es folgte ein Jahr in Hamburg mit Tätigkeiten als Schauspiellehrer und Engagements bei Fernsehspielen. Zwei Jahre arbeitete er in Basel, danach am Theater am Neumarkt in Zürich. Dann holte ihn nach diversen Zwischenstationen der ehemalige Bonner Dramaturg und spätere Konstanzer Intendant Rainer Mennicken an den Bodensee. Dort hat er seinen ersten Tartuffe gespielt, die Rolle, mit der er sich im Herbst 2003 zum ersten Mal in den Bonner Kammerspielen präsentierte. Den Serge in Yasmina Rezas Erfolgskomödie "Kunst" hat er inzwischen ca.110-mal verkörpert und ist dafür mehrfach noch als Gast nach Konstanz gereist, nachdem er längst schon von seinem folgenden Engagement in Mainz nach Oberhausen gewechselt war. Dort spielte er drei Jahre lang, bevor er mit Klaus Weises Ensemble nach Bonn kam. Unter den nahezu 100 Rollen, die er sich an vielen Theatern erarbeitet hat, nennt er vor allem große Hauptmann- und Shakespeare-Figuren. Othello und Jago hat er - natürlich in verschiedenen Inszenierungen - beide schon verkörpert, Macbeth sowieso und einen derb animalischen Zettel im "Sommernachtstraum" in Mainz unter der Regie von Michael Helle. In Bonn war Braun inzwischen in etlichen Inszenierungen von Klaus Weise zu erleben, z.B. in Racines "Phädra" und in Strauss' "Unerwartete Rückkehr".
Besondere Hobbys pflegt er nicht: „Der Beruf ist Sport genug.“ Er geht lieber gut essen, und zu Hause in der Bonner Südstadt steht er mit Begeisterung am Herd. Für Bordeaux-Weine hat er ein Faible und reist zum Einkauf gelegentlich nach Frankreich. „Beim letzten Urlaub durfte ich sogar ganz offiziell in der Küche unseres Hotels mitwirken - fast so schön wie Theater.“ Womit wir wieder beim Thema sind: „Hirngespinste verbrauchen sich zu schnell. Ich brauche die konstante Lust am Denken und das Vergnügen, diese Lust in Spiel und Bilder umzusetzen. Den Zuschauern möchte ich immer zeigen: Denkt auf- und anregend - vor allem selbst!“ Bernd Braun wäre aber nicht Bernd Braun, wenn er das nicht gleich wieder selbstironisch herunterkochte: „Ich spiele nicht mit pathetischen Ausrufezeichen, sondern versuche, mich auf die Veränderbarkeit von Situationen einzulassen. Vorgänge sind einfach interessanter als Zustände."

Dienstag, 25.02.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 29.03.2024 14:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn