Andreas Maier - kultur 31 - November 2006

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Andreas Maier - Gorkis Die Letzten, ein toter Zahnarzt und Kafkas sehr menschlicher Affe

Als wir uns an einem sonnigen Septembertag auf einer Caféterrasse treffen, liest Andreas Maier in der soeben erschienenen Autobiographie des amerikanischen Neurologen und Medizin-Nobelpreisträgers Eric Kandel: „Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes“. „Heute habe ich keine Proben und keine Vorstellung“, sagt Andreas, „deshalb kann ich mich schon ein bisschen mit meiner nächsten Rolle beschäftigen.“ Im November wird er in der deutschsprachigen Erstaufführung von Mögliche Welten des kanadischen Autors John Mighton in der Werkstatt des Theaters Bonn den Broker George verkörpern, der ermordet wurde, dessen Gehirn jedoch weiterlebt und in einer Parallelwelt mit Georges realer Frau zusammentrifft. „Ich bin selbst gespannt drauf, was aus dieser merkwürdigen Krimi-Geschichte wird.“
Für seine Rolle als schnöseliger junger Zyniker in Maxim Gorkis Die Letzten, das in der Bonner Inszenierung von Markus Dietz zum diesjährigen NRW-Theatertreffen nach Münster eingeladen wurde, erhielt er den Preis als bester Nachwuchsdarsteller. „Andreas Maier stellt die abgründige Figur des Alexander in einem Familiendrama voller Skrupellosigkeit und Perversion auf faszinierende Weise dar, jenseits jeder Identifikationsfigur“, heißt es in der offiziellen Jury-Begründung.
Geboren wurde Andreas Maier 1973 in Nürnberg, wo er mit 11 Jahren zum ersten Mal sein Taschengeld auf der Bühne verdiente. „Mit 8 Jahren habe ich angefangen, bei Elternabenden kleine Sketche aufzuführen. Mein Vater baute mir dafür eine Black Box, aus der ich mein Kaninchen zauberte. Daraufhin engagierte mich das Stadttheater für die Gauklerszene in der Oper La Bohème. Mein Kaninchen bekam vor lauter Aufregung fast einen Herzinfarkt und konnte kaum noch zappeln, aber ich erhielt 1984 meinen ersten Szenenapplaus.“ Auch nach dem Abitur blieb Andreas dem Theater treu als Statist und Bühnenarbeiter. Beim privaten „Gostner Hoftheater“ in seiner Heimatstadt arbeitete er zum ersten Mal als Regieassistent bei Helmut Kraussers Stück Lederfresse. Kurz danach gründete er eine freie Theatergruppe, die sich eine leer stehende alte Fabrikhalle eroberte, wo er Heinar Kipphardts Stück März - ein Künstlerleben inszenierte. Außerdem war er Keyboarder in seiner achtköpfigen Band. 1994 schrieb er sein erstes Musical Druckreif - eine schrille Faust-Geschichte über einen erfolglosen, versoffenen Klatschjournalisten, dem ein mephistophelischer Verlagsvertreter verspricht, dass alle seine Storys wahr werden. Über 1000 Zuschauer kamen zu den Vorstellungen. Kurzgeschichten und andere Texte schreibt er weiterhin. „Es liegt einiges in der Schublade, aber für eine Veröffentlichung muss ich mir wohl ein Pseudonym suchen“, scherzt er. „Einen Schriftsteller Andreas Maier, den ich übrigens sehr gern lese, gibt es schon."
Eigentlich wollte er nach dem Zivildienst Medizin studieren; ein kluger Berufsberater ermutigte ihn jedoch zu einer Theaterlaufbahn. Andreas bekam auf Anhieb einen der begehrten Studienplätze an der Berliner Hochschule der Künste. Er studierte bei dem Schweizer Regisseur Dieter Bitterli, lernte bei Peter Stein Rollenarbeit und war besonders beeindruckt von der Begegnung mit Barbara Bilabel, die in Bonn z.B. 1994 Das Fest des Lamms von Leonora Carrington zur Uraufführung brachte. Bilabel leitete die Abschlussarbeit seiner Klasse, eine Brecht-Revue, die beim Schauspielschul-Treffen 1999 in München mit dem Max-Reinhardt-Preis für herausragende Ensembleleistungen ausgezeichnet wurde. Im szenischen Teil seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit den Kriegserinnerungen seines Großvaters. Das wurde zur Grundlage für sein Solostück Mitten ins Herz, eines der Glanzlichter der Werkstattreihe „Reality Bit(e)s“ des Theaters Bonn. Er wurde damit mehrfach in Schulen eingeladen und fand es äußerst anregend, wie viel ihm danach die Zuschauer aus eigenen Erfahrungen berichteten.
Nach Gastrollen am Maxim-Gorki-Theater noch während des Studiums bekam Andreas Maier 1999 sein erstes festes Engagement in Oberhausen: „Weil die gleich nach dem Vorsprechen anriefen, weil der Intendant Klaus Weise rote Turnschuhe trug, weil ich das Ruhrgebiet überhaupt nicht kannte und deshalb neugierig war.“ Er spielte dort viele große Rollen, unter denen er besonders gern Schillers Marquis von Posa, den kleinen Gangster in Connor McPhersons Der gute Dieb und den Carl in Sarah Kanes Gesäubert nennt. Bei letzterem führte Christoph Roos Regie, der in der Halle Beuel zu Beginn der Bonner Intendanz von Klaus Weise den berühmten expressionistischen Stummfilm Caligari auf die Bühne brachte. Andreas gab seinen Bonner Einstand als Caligaris Mordgeselle und willenloses Opfer Cesare. Der sang, wenn er seinem Sarg entstieg, seltsam schön im Falsett wie aus einer anderen Welt: „Der Text war übrigens ein Gedicht aus Baudelaires ‚Fleurs du mal' phonetisch rückwärts vorgetragen, so dass jedes französische ‚le' oder ‚la' wie ein orientalisches ‚el' oder ‚al' klang. Diese Kunstsprache war meine Idee.“ Etwas Neues ausprobieren wollte Andreas auch, als er sich dafür entschied, in Richard Maxwells The Frame den Zahnarzt zu übernehmen, der ziemlich bald ermordet wird. „Es hat mich interessiert: Was macht ein Toter? Lebt er in seiner Parallelwelt die Dinge aus, die er sonst nie gemacht hätte? Bei Maxwell gibt es weder Arrangements noch Attitüden; er fordert eine andere performative Wahrhaftigkeit, die sicher nicht jeden Zuschauer überzeugen kann.“
In Werner Schroeters Oberhausener Inszenierung von Tennessee Williams' Orpheus steigt herab war Andreas der Sonny-Boy Val Xavier, der die amerikanische Südstaatenprovinz aufmischt und dafür von den Kleinbürgern gelyncht wird. Hierfür erhielt er in der Kritikerumfrage von Theater heute 2001 eine Nennung als bester Nachwuchsschauspieler. Mit Schroeter arbeitete er in Bonn wieder zusammen in der Titelrolle von Kleists Amphitryon. In der Regie von Matthias Kaschig spielte er den Hofmarschall von Kalb in der erfolgreichen Inszenierung von Schillers Kabale und Liebe, in der Regie von Klaus Weise den Bruder des blinden Heimkehrers bei der deutschsprachigen Erstaufführung von Lars Noréns Krieg. Sein Team selbst aussuchen durfte er sich bei Franz Kafkas Bericht für eine Akademie. In der Regie von Jens Kerbel und der wunderbaren Bühneninstallation von Gesine Kuhn wird dieses Solo demnächst im Lampenlager wieder aufgenommen.
Regisseure, die schon alles wissen und einem Schauspieler genau sagen, was er machen soll, schätzt er nicht besonders. „Ich sehe den Regisseur als Partner, der den Weg bereitet, und einen dann selbst herausfinden lässt, wo es hingehen soll. Wie entwickle ich eine Figur, die dem Stück und ihrem eigenen Konflikt gerecht wird? Es klingt vielleicht ein wenig eitel: Aber ich finde es relativ unspannend, Sympathieträger zu spielen“. Ein ‚Abräumer' ist Andreas Maier auf der Bühne nicht, wahrscheinlich deshalb so sympathisch.

Dienstag, 25.02.2014

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