Gounod, Charles François (1818 - 1893)

aus kultur Nr. 46 - 4/2008

„Die Aufführung der Cäcilienmesse rief eine Art Benommenheit hervor. Diese Einfachheit, diese Größe, dieses reine Licht, das sich über die Musikwelt wie eine Dämmerung breitete, setzte die Leute sehr in Erstaunen: Man fühlte, dass hier ein Genie tätig gewesen war (...) zunächst war man geblendet, dann berauscht und schließlich überwältigt.“ Diese Zeilen schrieb Camille Saint-Saëns nach der Uraufführung im Jahre 1855. Die "Messe solennelle de Sainte Cécile" ist neben der Oper "Faust" auch heute noch eines der Werke, die Gounod so berühmt machten.
Der französische Komponist stammte aus einer künstlerisch begabten Familie: Sein Vater gewann als Maler 1783 den Rompreis, seine Mutter war eine von Louis Adam (dem Vater Adolphe Adams) ausgebildete Pia­nistin. Sie sorgte nach dem frühen Tod ihres Mannes für eine gute musikalische Ausbildung Gounods. Er erhielt zunächst privaten Harmonie- und Kontrapunktunterricht bei A. Reicha. 1836 wurde er Schüler am Conservatoire und lernte Kontrapunkt bei F. Halévy und Komposition bei H.M. Berton, bei J.-F. Le Sueur und schließlich bei F. Paer. Mit der Kantate Fernand gewann Gounod mit 21 Jahren den ersten Preis beim Prix de Rome und verbrachte daraufhin zwei Jahre in der italienischen Hauptstadt.
In Rom bewegte sich Gounod im Gesellschaftskreis des Malers Ingres, der damals Leiter der Villa Medici war. Nach Meinung dieses Künstlers hätte Gounod auch als Maler den Rompreis erhalten können. Der Komponist lernte zu dieser Zeit Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy, und die junge Sängerin Pauline Viardot-García, die mit dem Leiter des Théatre-Italien verheiratet war, kennen. Durch Fanny Hensel wurde er mit Werken Beethovens und J.S. Bachs vertraut. In der Sixtinischen Kapelle hörte Gounod die Musik Palestrinas, die auf ihn einen großen Einfluss ausübte. Beeindruckt wurde Gounod auch von dem ungemein populären Dominikanerprediger Jean Baptis­te Henri Lacordaire und von Charles Gay, dem späteren Bischof von Poitiers. Fanny Hensel hielt es sogar für möglich, dass Gounod „die Musik gegen die Kirche austauschen“ würde.
Im Mai 1843 zurück in Paris führte Gounod als maitre de chapelle der Eglise des Missions étrangères die Musik Palestrinas und Bachs ein. Der Komponist, der seine Briefe seit längerem mit „Abée Ch. Gounod“ unterzeichnete, erwog bald tatsächlich, Priester zu werden und studierte ab Herbst 1847 im Karmeliterseminar Saint-Sulpice. Dieses Vorhaben gab er nach fünf Monaten jedoch wieder auf.
Durch den Einsatz von Pauline Viardot-García, die sich damals auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befand, erhielt der in Frankreich noch völlig unbekannte Komponist seinen ersten Auftrag für eine Oper. Die Aufführung von "Sapho" (1851) war jedoch nicht sehr erfolgreich.
Im April 1852 heiratete Gounod Anna Zimmermann, die Tochter seines ehemaligen Klavierlehrers. Dieser unterstützte seinen Schwiegersohn, indem er den Druck der beiden Werke "Ulysse" (1852) und "La Nonne saglante" (1854) finanzierte. Dank des Erfolgs der Schauspielmusik "Ulysse" wurde Gounod 1852 Direktor der Pariser Chorvereinigung Orphéon und bald darauf auch Leiter des Vokalunterrichts an öffentlichen Schulen. Der Dirigent J.E. Pasdeloup führte 1853 Gounods Komposition "Méditation sur le 1er prélude de piano de J.S. Bach" auf und gab den Auftrag zur Komposition von zwei Sinfonien. 1855 wurde die "Messe solennelle de Sainte Cécile" mit großem Erfolg aufgeführt. 1859 wurde die Oper "Faust" uraufgeführt, deren Stoff der Komponist bereits 1838 kennen gelernt hatte. Gounods Erfolg auf der Opernbühne war äußerst schwankend, was ihn aber nicht davon abhielt, sich bis 1881 immer wieder mit dieser Gattung auseinanderzusetzen.
Als der Komponist 1870 nach Ausbruch des deutsch-französischen Krieges für vier Jahre nach London übersiedelte, war er vor allem als Autor des "Faust" und von "Roméo et Juliette" (1867) bekannt und geschätzt - Königin Victoria zählte zu seinen Bewunderern. Die Aufführung der lateinischen Motette (s.u.) "Gallia" zur Eröffnung der Royal Albert Hall am 1. Mai 1871 war so erfolgreich, dass Gounod für ein Jahr der erste Dirigent der Royal Albert Hall Choral Society wurde.
Bereits zu seinen Lebzeiten galt Gounod mit seinen geistlichen Werken als Nachfolger Händels und Mendelssohns. Die Vielzahl von kirchenmusikalischen Kompositionen, darunter allein 21 Messen, ist Gounods Neigung zu Mystizismus und Katholizismus zu verdanken. In dieser Gattung steht für Gounod die „verité“ (Wahrheit) und die Würde des Ganzen im Vordergrund. Ein Streben nach äußerem Effekt lehnt er ab: in der "Messe solennelle de Sainte Cécile" etwa wird Heiligkeit mit leisen und leisesten Tönen verbunden.
Gounods umfangreiches Lied- und Chorschaffen kam sowohl dem Bedarf nach privater als auch öffentlicher Musikausübung nach. An die überwiegend in a-cappella-Besetzung komponierten Chorwerke sind unterschiedliche musikalische Anforderungen gestellt. Virtuosität erreicht Gounod immer wieder in der gleichsam instrumentalen Behandlung des Chores. Die Besonderheit innerhalb seines Liedschaffens (etwa 100 Werke auf französische Texte, 30 weitere in englischer und wenige in italienischer Sprache) liegt in der fließenden, bisweilen schwerelosen Melodik.
Im Bereich der Oper stellen Gounods große Werke den ersten Schritt auf dem Weg zur Erforschung des Seelenlebens einer Figur dar. Der Melodie des Sängers werden durch vielfach variierte Verdopplungen in den Orchesterstimmen immer neue Farben verliehen; die vokale und instrumentale Melodie ergänzen einander. Der von den Komponisten Fauré, Debussy und Ravel bewunderte Höhepunkt dieser Technik findet sich im Gartenakt des "Faust" (3. Akt).
Als Gounod 1893 unerwartet starb, verlor Frankreich einen seiner führenden Komponisten. Er beeinflusste nicht nur jüngere Komponisten wie Saint-Saëns und Bizet, sondern auch gleichaltrige wie Thomas und Massenet. Teile aus seinen Werken wurden immer wieder für Filme verwendet, so z.B. das Sanctus aus der Cäcilienmesse für den Dracula-Film "Nosferatu - Phantom der Nacht" von Werner Herzog aus dem Jahre 1978. E.H.

Zum Nachhören:
- Messe Solennelle De Sainte Cécile, Hendricks, Dale, Lafont, Choeurs de Radio-France, Nouvel Orchestre Philharmonique, Georges Prêtre, EMI.
- Faust, Studer, Leech, Van Dam, Hampson, Choeur de L’Armée Française, Choeur et Orchestre du Capitole de Toulouse, Michel Plasson, EMI.

Mittwoch, 05.01.2011

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