Boccherini, Ridolfo Luigi (1743 - 1805)

aus kultur Nr. 44 - 2/2008

Der Pariser Opernmeister J.B. Cartier schrieb 1798 in seinem Buch „L’Art du Violon“: „Si Dieu voulait parler à l’homme en musique, il le ferait avec les œuvres de Haydn, mais s’Il desirait Lui-même écouter de la musique, Il choisirait Boccherini.“ (Wenn Gott zu den Menschen in Musik sprechen wollte, würde er das mit den Werken von Haydn machen, aber wenn er selber wünschte, Musik zu hören, würde er Boccherini wählen.) Boccherini selbst verstand seine Musik vor allem als Ausdruckskunst, gerichtet auf die Rührung des Herzens: „so bene che la Musica è fatta per parlare al cuore dell’huomo“.
Luigi Boccherini (der erste Taufname scheint nie benutzt worden zu sein), gebürtig aus dem italienischen Lucca, ist der bedeutendste Kammermusikkomponist seiner Zeit. Sieben Achtel seiner rund 400 heute nachweisbaren Instrumentalwerke (davon 125 Streichquintette, 91 Streichquartette und 42 Streichtrios) hat Boccherini innerhalb dieser Gattung komponiert. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen das "Fandango" aus dem Quintett D-Dur für zwei Violinen, Viola, Cello und Gitarre G 448 und das Menuett aus dem Quintett E-Dur für zwei Violinen, Viola und zwei Violoncelli G 275. Letzteres fand Verwendung in den Filmen "The Magnificent Ambersons" (1942) von Orson Welles und "Ladykillers" (1955) von Alexander Mackendricks.
Boccherini gehörte einer musikalischen und dem Künstlerischen zugewandten Familie an. Er war das dritte Kind von Leopoldo Boccherini und dessen Ehefrau Maria Santa, geb. Prosperi. Sein Vater war in der Cappella Palatina von Lucca Sänger und Kontrabassist, gelegentlich auch Violoncellist. Luigis älterer Bruder war Ballett-Tänzer und später Librettist für Opern. Seine ältere Schwester war Solotänzerin und Primaballerina, die beiden jüngeren Schwestern waren Ballett-Tänzerin und Opernsängerin.
Boccherini selbst erhielt 1751-53 eine musikalische Ausbildung durch den Kapellmeister und Cellisten D.F. Vannucci; während eines Studienaufenthaltes in Rom war er möglicherweise Schüler des Komponisten und Violoncellisten G.B. Costanzi.
Als „celebre suonatore di Violoncello“ machte er sich bereits mit 13 Jahren einen Namen, zusammen mit seinem Vater war er 1758-64 für die jeweilige Theatersaison am Theater am Kärntnertor in Wien als Musiker verpflichtet. 1764 wurde Boccherini als Cellist in der Cappella Palatina von Lucca angestellt.
1766 begab er sich mit seinem Freund Manfredi, der Konzertmeister der Cappella Palatina war, auf Reisen; ihr Weg führte sie nach Genua, Nizza, Paris und Madrid. In Spanien heiratete Boccherini 1770 Clementina Pellicia, die zweite Sopranistin einer italienischen Operntruppe. In diesem Jahr trat er auch als „compositore e virtuoso di camera“ in die Dienste von Luis Antonio, Jaime, Infant von Spanien, genannt Don Luis, ein. In dieser Funktion (bis 1785) komponierte Boccherini zahlreiche Kammermusikwerke. Da Don Luis u.a. vier Musiker in Streichquartettbesetzung zur Verfügung hatte, die zusammen mit Boccherini ein Quintett bildeten, entstand in dieser Zeit wohl auch die von ihm erfundene Gattung von Streichquintetten in der Besetzung mit zwei Violoncelli.
Durch den preußischen Gesandten in Madrid ließ Boccherini 1783 Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen (dem späteren Kaiser Friedrich Wilhelm II., 1786-97), der ein begeisterter Cellist war, eigene Kompositionen schicken. 1786 ernannte dieser ihn zum „Compositore della Nostra Camera“. In der Folgezeit schickte der Komponist fast ohne Unterbrechung jährlich zwölf Instrumentalwerke - überwiegend Streichquartette und -quintette - an seinen Dienstherren.
Zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Boccherini 1787 die Tochter des ersten Cellisten der Real Capilla, Maria del Pilar Joaquina Porretti. Boccherinis letzte Lebensjahre waren von schweren Schicksalsschlägen und Krankheit überschattet. 1796 starb seine Tochter Joaquina mit etwa 25 Jahren. Ein Jahr darauf starb unerwartet Friedrich Wilhelm II. Der Thronfolger verlängerte Boccherinis Dienstverhältnis nicht. Im Jahre 1800 fand der Komponist mit dem französischen Botschafter in Madrid, Lucien Bonaparte, endlich einen neuen Gönner. Joseph Bonaparte, der älteste Bruder von Lucien und Napoleon, gewährte Boccherini ab 1802 eine jährliche Pension. In diesem Jahr starben seine Töchter Mariana und Ysabel; zwei Jahre später die vierte Tochter Maria Teresa und seine zweite Frau. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse waren in den letzten Lebensjahren bescheiden, sein gesundheitlicher Zustand war schlecht. Boccherini starb an einer Bauchfelltuberkulose und wurde in der Kirche von San Justo in Madrid bestattet. 1927 wurde sein Leichnam nach Lucca überführt und in der Basilica San Francesca beigesetzt.
Seit der Veröffentlichung seiner ersten Kompositionen in den Jahren 1760-61 in Paris führte Boccherini ein eigenhändiges (allerdings nicht vollständiges) Werkverzeichnis. Paris war zeit seines Lebens der wichtigste Verlagsort für seine Werke. Von hier aus verbreiteten sich seine Kompositionen über zahlreiche Neuauflagen in der ganzen Welt.
Boccherinis eigentliche Errungenschaft ist der konzertante Kammermusikstil, der sich durch eine Gleichberechtigung aller Stimmen auszeichnet. Seine Kompositionen vereinen Individualität, Modernität und technische Meisterschaft. Virtuose Passagen für das Violoncello wurden natürlich in Hinblick auf seine eigene Mitwirkung geschrieben - Boccherini besaß zwei Celli von Stradivari. Seine Violoncellokonzerte bewegen sich auf höchstem technischen Niveau. Seit der Veröffentlichung des Konzerts G 482 im Jahre 1895 ist dieses Werk bis in die Gegenwart von Generationen von Cellisten gespielt worden, allerdings in der Bearbeitung von F. Grützmacher. Für Marquis de Benavent, Fran­çois de Borgia, erstellte Boccherini in den Jahren 1798 und 99 ein Dutzend Bearbeitungen eigener Werke für Gitarre, zwei Violinen, Viola und Violoncello. Eine herausragende Stellung im Bereich der Vokalmusik nimmt das tief empfundene Stabat mater (s.u.) für Sopran und fünfstimmigen Streichersatz (G 532) ein, das in der vom Komponisten um Alt und Tenor erweiterten Version veröffentlicht wurde. E.H.

Zum Nachhören:
Gitarrenquintette, Pepe Romero, Academy of St. Martin in the Fields, Philips.
Stabat Mater, Streichquintette op. 42,1 & 2, Roberta Invernizzi L'Archibudelli, Vivarte.
Cellokonzerte, Ivan Monighetti, Akademie für Alte Musik Berlin, Berlin Classics.

Mittwoch, 05.01.2011

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